Mit "Die fetten Jahre sind vorbei" gelang dem Regisseur und Autor Hans Weingartner vor drei Jahren gleich ein doppelter Coup: Zum einen lief sein Werk als erster deutscher Film seit zwölf Jahren im Wettbewerb von Cannes, zum zweiten zeigte der beachtliche Publikumserfolg des debattierfreudigen Dramas, dass man auch mit politischen Filmen noch Erfolg haben und (zumindest ein wenig) Gehör finden kann. Nachdem die "fetten Jahre" sich noch als Kapitalismus- und Systemkritik mit Rundumschlag-Charakter gebärdeten, schießt sich Weingartner mit seinem neuen Film jetzt auf ein konkretes Feindbild ein: Das Fernsehen. Schade nur, dass "Free Rainer" dabei denselben Schwächen wie schon die "fetten Jahre" anheim fällt, und mit seinen einseitigen moralapostolischen Predigten letztendlich mehr langweilt als aufrüttelt.
Das mag auch daran liegen, dass "Free Rainer - Dein Fernseher lügt" nie so richtig den eigenen Tonfall findet. Denn los legt der Film schon ziemlich furios mit einer ätzend-zynischen Überzeichnung seines Protagonisten: Moritz Bleibtreu als TV-Produzent Rainer fackelt in den ersten Minuten ein wahres Feuerwerk an Widerlichkeit und Degeneriertheit ab. Soviel Überheblichkeit, Arroganz, charakterliche Verkommenheit und Koks-Konsum auf einmal sieht man selten. Rainer produziert das, was Harald Schmidt so treffend als "Unterschichtenfernsehen" bezeichnete - Shows und Magazine untersten Niveaus, aber Hauptsache, der Pöbel schaltet ein und die Quote stimmt.
Dass Weingartner indes jegliches Verständnis dafür abgeht, wie man so einen Job überhaupt machen und gleichzeitig eine Seele haben kann, wird mit der Geschwindigkeit offensichtlich, mit der Rainer im Folgenden seine Erweckung erlebt: Nachdem die junge Frau Pegah (Newcomerin Elsa Sophie Gambard) versucht hat, Rainer umzubringen (ein spekulativer Beitrag seines Reportage-Magazins führte zum Selbstmord ihres Großvaters), erkennt der TV-Teufel seine Sünden und beschließt, das Land vom Terror der verblödenden Bildröhre zu befreien.
Sein erster Versuch - eine neue, engagierte Fernsehsendung mit dem Titel "Das sollten Sie wissen" - geht dabei gründlichst schief: Die Quote ist miserabel und Rainer verliert seinen Job. Die Erkenntnis ist klar: Schuld am volksverdummenden Fernsehen ist die alles dominierende Quote. Und so beschließen Rainer und Pegah, auf einen Feldzug gegen die Quote aufzubrechen, um das Land geistig zu befreien.
Was folgt, krankt nicht nur an mangelnder Glaubwürdigkeit und einer dürftigen Dramaturgie, die Tempo vermissen lässt und sich an entscheidenden Stellen mit günstigen Zufällen aushilft (so fällt Rainer und Pegah der perfekte Mitstreiter für ihr eigentlich unmögliches Unterfangen quasi direkt vor die Füße), sondern auch an der Naivität und offensichtlichen Voreingenommenheit, mit der sich Weingartner seinem Subjekt nähert. Denn als erstes muss Rainer die bittere Erkenntnis schlucken, dass die Quote tatsächlich stimmt, und nicht etwa verschwörerisch manipuliert wird. Also muss der Fehler ja irgendwo im System liegen, und so stürzt sich Weingartner auf die offensichtlichen Mängel der Quotenermittlung: Dass nur knapp 6.000 Haushalte ein ganzes Land repräsentieren oder dass dabei nur GEZ-Zahler und deutsche Staatsbürger berücksichtigt werden und somit eine breite Front der TV-Nutzer überhaupt nicht berücksichtigt wird. Das Ding ist nur: Jeder Marktforscher und Quotenanalyst im Fernseh-Geschäft weiß das, und es gibt gute Gründe dafür, dass das System so ist, wie es ist. Es ist sicher nicht perfekt, aber es ist ganz bestimmt auch nicht skandalös.
Die Lösung für Rainer und seine Mitstreiter heißt darum auch nicht, das System zu ändern, sondern seine Schwächen für ihre Zwecke zu missbrauchen: Indem sie die Quoten manipulieren. Dass Rainer & Co. für die Umsetzung ihrer Pläne einige Repräsentanten eben jener Unterschicht rekrutieren, für die Rainer bisher Fernsehsendungen produziert hat, will Weingartner verstanden wissen als Klassen-Akt der Selbstbefreiung. Damit kann er jedoch nicht kaschieren, dass er sich hier die intellektuelle Arroganz eines typischen Möchtegern-Weltverbesserers vorhalten lassen muss, der der standfesten Überzeugung ist, die Wurzel des Problems erkannt und die Lösung parat zu haben, wenn, ach wenn die Leute doch nur zuhören und machen würden, was man ihnen sagt.
Doch gerade weil Weingartners Bedürfnis, seine Überzeugungen in die Welt zu posaunen, so groß ist, krankt der Film wie schon "Die fetten Jahre sind vorbei" unter viel zu viel Debattier-Ballast und einem überdeutlichen erzieherischen Anspruch, der in diesem Falle das satirische Potential größtenteils zunichte macht. Was mit der fulminant überzogenen Vorstellung des dauerkoksenden Oberarschlochs Rainer so gut los geht, verliert im Folgenden Witz und Tempo beinahe komplett, weil die Geschichte zu keinem Zeitpunkt richtig aus den Puschen kommt, und weil Weingartner sein Thema viel zu wichtig nimmt, um gelungen darüber scherzen zu können.
Entsprechend erscheint die Utopie einer mit "klugem" Fernsehen gesegneten Gesellschaft, die Weingartner schließlich zu entwerfen versucht, als geradezu niedliche Träumerei eines weltfremden Idealisten, für den Karl Marx noch immer Recht hatte. "Das Geld war schon immer das Ende jeder Revolution" meint Pegah an einer Stelle bedeutungsschwanger, und die Entsagung vom persönlichen Besitz ist denn auch hier der entscheidende Schritt zur gesellschaftlichen Umwälzung. Da das alles aber weder realistisch noch glaubwürdig noch überzeugend dargestellt ist, fällt es hier doch sehr schwer, mitzugehen und sich auf die An- und Einsichten des Regisseurs einzulassen.
"Free Rainer - Dein Fernseher lügt" bietet im Gegensatz zu "Die fetten Jahre sind vorbei" keinen politischen Diskurs, der interessant und komplex genug ist, um sein Publikum trotz schleppender Dramaturgie über zwei Stunden zu fesseln. Und wer so redefreudige und eindeutig politische Filme wie Hans Weingartner macht, muss sich - trotz aller unbestreitbarer Talente als Regisseur - dann auch daran messen lassen, wie klug argumentiert, ausgewogen und mitreißend sein Pamphlet tatsächlich ist. "Free Rainer" ist leider nichts davon.
Neuen Kommentar hinzufügen