"Kleine Handvoll Erde, schau sie dir an…" haben
wir damals auf der katholischen Jugendfreizeit gesungen, und jetzt
gibt es den Film dazu. Allerdings kommt er bedeutungsschwanger und
langatmiger als jeder Kindergottesdienst daher. "Genesis"
verheißt schon mit dem
bombastischen Sound direkt zu Beginn: schau an, so riesig groß
und fantastisch und außerordentlich ist die Geschichte, die
wir gleich erzählen wollen. Man sieht: die Kristallbildung
von Vitamin C, bunt schillernde Blasen, die vor sich hin mutieren.
Dazu donnert ein Orchester. Hier also das erste Spiel mit der Perspektive,
die Nuridsany und Pérennou zum Stilmittel ihrer Erzählung
machen: das ganz Kleine ist das ganz Große, und irgendwo dazwischen
bist du, eine Form unter vielen, die das Leben immer wieder aus
der Materie bildet.
"Eine moderne Mythologie" wollten die beiden Franzosen
schaffen, die bereits mit "Mikrokosmos" vom aufregenden
Leben in der Welt der Waldwiesen erzählten und damit einen
großen internationalen Erfolg landeten. Das ist ihnen auch
gelungen: ein Schamane, gespielt von Sotigui Kouyaté (nein,
er ist nicht echt!), sitzt in wurzelgefärbten Gewändern
vor einem Topf Wasser (Ah! Gebärmutter und Ursuppe) und erzählt
mit leuchtenden Augen von den Atomen, die er IST, so wie wir alle.
So, da habt ihrs, Großstädter und Zivilisationsgeschädigte
aller Welt, vergesst nicht, dass Ihr Bioformen seid.
Das Leben ist doch so wie in den Biofilmen, es fängt mit großen
Ozeanwellen an, und führt erstmal zu gepflegter Langeweile
- die sich gibt, als Nuridsany und Pérennou beginnen, ein
paar Charaktere vor die Kamera zu bringen, die dem Gähnen ein
Ende setzen. Sechs Jahre haben die beiden gebraucht, um ihre Protagonisten
vor die Kamera zu bekommen, haben in Frankreich, Island, Madagaskar,
auf den Galapagos-Inseln und in Polynesien gedreht. Und diese Helden
der Tierwelt
entpuppen sich als faszinierende Artgenossen: Schlammspringer, Ochsenfrösche
und Kragenechsen führen vor, was ihre Vorstellung des "home
sweet home" und der Rivalenkloppe ist, und Weberknechte und
Seepferdchen lieben sich vor dem Makro - hier beginnen kleine Dramen,
und die exzellente Kameraführung zieht den Blick magisch auf
die Schuppen einer Schlange und das Kreiseln kleiner Schauminseln
im Nichts der Ursuppe. Spätestens hier versteht man das Spannende
der Geschichte: das Leben ist immer wieder neu gefundene Form, und
der Tod die Auflösung, das Chaos.
Was aber mit den Einkaufszetteln, die man im Kopf hat und dem Auto,
das repariert werden muss? "Genesis" entführt nur
höchst willige Zuschauer in die Welt der fabulös heilen
Naturidylle, alle anderen werden immer wieder mal denken, "draußen
gibt's Bier". "Ich bin ein Ökosystem", kommt
dennoch der letzte gewollte Gedanke des Filmes auf, der zumindest
ein atemberaubendes Schlussbild liefert. Und dann schaltet man das
Handy an, fragt sich, was für ein Ökosystem ist eigentlich
der Riesenhaufen Stadt, der sich um einen befindet, wo sind die
Kippen, denkt man, und wo zum Teufel fahren Leute noch mit dem Einbaum?
Naja, Märchen halt. Ende Abspann.
Originaltitel
Genesis
Land
Jahr
2004
Laufzeit
90 min
Genre
Release Date
Bewertung
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