Paradise

Jahr
2023
Laufzeit
117 min
Regie
Release Date
Streaming
Bewertung
6
6/10
von Matthias Kastl / 30. Juli 2023

Angesichts des Schauspieler- und Autorenstreiks in Hollywood dürfte Netflix wohl gerade ziemlich froh darüber sein, in den letzten Jahren immer mehr auch auf lokale Produktionen gesetzt zu haben. Während man im Serienbereich mit Werken wie “Squid Game“, “Lupin“ oder “Haus des Geldes“ durchaus ein paar eindrucksvolle Erfolge feiern konnte, sieht es im Filmbereich allerdings noch etwas mau aus. Mit Ausnahme des deutschen Oscar-Abräumers “Im Westen nichts Neues“ konnte sich bisher keine internationale Eigenproduktion hier wirklich einen Namen machen. Und daran wird auch der neueste deutsche Beitrag, der deutlich zu zahnlos daherkommende Dystopie-Thriller “Paradise“, nichts ändern. 

In der Welt von “Paradise“ beutet, wie es sich für viele ordentliche Dystopien gehört, mal wieder eine reiche Oberschicht eine in Ghettos lebende Unterschicht auf brutale Weise aus. So kauft die Unternehmerin Sophie Theissen (Iris Berben, “Triangle of Sadness“, “Traumfrauen“) mit ihrem Unternehmen AEON mit Hilfe von dubiosen regionalen “Sales Managern“ wie Max (Kostja Ullmann, “Stellungswechsel“, “Happy Burnout“) armen Menschen Lebenszeit ab, um diese dann für viel Geld an eine entsprechend zahlungsfreudigere Klientel zu verhökern. Als Max eines Tages aber selbst in finanzielle Nöte gerät und seine Freundin Elena (Marlene Tanczik) aufgrund eines Knebelvertrages 38 Jahre ihrer Lebenszeit abtreten muss, kommen Max Zweifel am Sinn und der Moral seiner Arbeit. Zusammen mit der zwangsgealterten Elena (nun gespielt von Corinna Kirchhoff) wagt er es gegen das scheinbar allmächtige Firmenimperium von Sophie aufzubegehren.

Das ist natürlich wieder einmal eine ziemliche High-Concept-Idee, die man in einer ähnlichen Variante schon einmal im Justin Timberlake-Streifen “In Time – Deine Zeit läuft ab“ bewundern durfte. Und wie oft in solchen Fällen braucht es hier auch etwas Zeit bis man die grundlegende Prämisse schluckt, was einem von “Paradise“ aber auch noch mal extra schwer gemacht wird. Dass man sich durch den operativ implementierten “Zeitgewinn“ so stark verjüngen kann, dass man sogar wieder zum Kind werden kann, ist schon ein dicker inhaltlicher Brocken zum Runterschlucken. Vor allem, da die hier gezeigte Welt nicht allzu weit in der Zukunft liegen kann, da immer noch Influencer mit Handys rumlaufen und der ehemalige Nachrichtensprecher Ulrich Wickert sogar einen Gastauftritt als er selbst absolviert.

So richtig durchdacht ist das Szenario also nicht. Aber geschenkt, denn es wirft ja ein paar durchaus interessante moralische Fragen auf und hat für seine Welt faszinierende Konsequenzen. Wie die Tatsache, dass der Klimawandel hier schon längst gelöst ist, da die längere Lebenserwartung der Oberschicht dem Thema eine ganz andere Priorität verliehen hat (denn die sind ja dann alle noch am Leben, wenn die eigenen ökologischen Sünden den Planeten einholen). Auch der neue Altersunterschied zwischen Max und Elena bietet jede Menge interessante Ansatzpunkte, um sich zum Thema Liebe und Schönheitsideale Gedanken zu machen. Immer wieder ploppen diese Fragen in “Paradise“ auf, doch leider scheint der Film meist nie wirklich daran interessiert zu sein, diese so richtig aufzugreifen.

Stattdessen setzt man hier gerade im weiteren Verlauf stärker auf das Thriller-Element, dessen Potential allerdings leider ebenfalls nicht wirklich ausgeschöpft wird. Zwar ist die Richtung der Story nicht immer komplett vorhersehbar, doch echte Spannung kommt nur selten auf. Das liegt zu einem Großteil leider an einer oft gerade bei deutschen Produktionen zu beobachtenden Angewohnheit, nämlich der Tendenz des Drehbuchs, jegliche inneren Konflikte und Skrupel stets offen von den jeweiligen Figuren aussprechen zu lassen. Wann immer jemand in ein moralisches Dilemma kommt, kann man sich sicher sein, dass er dieses für alle verständlich offen ausspricht. Das lässt “Paradise“ leider oft sehr behäbig, oberlehrerhaft und hölzern wirken – und gerade einem Thriller würde es ja auch mal gut tun, wenn man nicht immer genau wüsste was die Protagonisten gerade so denken.

Ebenfalls keinen Gefallen tut man sich mit der moralischen 180-Grad-Wendung einer Figur im Schlussdrittel, die viel zu erzwungen und unglaubwürdig wirkt. Der große Showdown ist ebenfalls eher mittelmäßig und das obligatorische offene Ende arbeitet eine Spur zu routiniert auf eine vermutlich nie erscheinende Fortsetzung hin. Angesichts der eigentlich ordentlichen Darsteller, einer atmosphärisch durchaus dichten Inszenierung und den unter der Oberfläche lauernden spannenden moralischen Fragen sind diese Schwächen schon etwas ärgerlich. So fühlt sich das alles am Ende, wie so oft leider bei Netflix, nicht wie großes Kino, sondern eher wie ein auf Hochglanz polierter aber leider inhaltlich zu flacher TV-Film der Woche an, der aus einer ordentlichen Grundidee am Ende einfach zu wenig herausholt.

Bilder: Copyright

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