Wäre Terrence Malick ein Tier, er wäre wohl der Einsiedlerkrebs. Kaum jemand im Filmgeschäft wird seltener gesehen als der Regie-Exzentriker. Ein einziges offizielles Foto kursiert von ihm, netter Onkel mit weißem Rauschebärtchen, alle anderen hat er verboten. Sofern er nicht das passende Klima für seine Filme vorfindet, gibt er den Einsiedler und zieht sich zurück, im Ernstfall auch gern mal zwanzig Jahre. Nur verhältnismäßig kurze sieben Jahre ist es her, seit Malick sein Biotop zum letzten Mal verlassen hat, mit dem in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Kriegsfilm "Der schmale Grat". Und nun der Aufbruch in eine neue Welt also.
Aber diese neue Welt ist natürlich immer auch alte Welt, gerade bei Malick. Dieser Film ist in Sekunden als "typischer Malick" identifiziert - was angesichts der wirklich alle Sinne ansprechenden Anfangsszenen, in der die Engländer in der neuen Welt ankommen, als Kompliment gemeint ist. Auch die Figuren passen in sein bisheriges Schaffen. In seinem insgesamt erst vierten Film verarbeitet er die Liebesgeschichte zwischen dem englischen Soldaten John Smith (Collin Farrell), der im Jahr 1606 vor der Küste des späteren Virginias zur Gründung einer Kolonie ankommt, und Pocahontas (Q'Orianka Kilcher), der Häuptlingstochter des dort ansässigen Indianer-Stammes. Die in den USA jedem Kind bekannte Legende um die tragische Liebe der beiden kennt man hierzulande allerhöchstens aus dem gleichnamigen Disney-Film, aus deren verniedlichenden Klauen Malick die Geschichte, in der auch der Tabakbauer John Rolfe (Christian Bale) später eine wichtige Rolle spielt, herausreißt. Auch wenn man aufgrund seiner esoterischen Regie hier ebenfalls fast sprechende Tiere erwartet. Aber Smith und Pocahontas (obwohl sie im Film nie so genannt wird) sind natürlich auch typische Malick-Protagonisten, Kinder des verlorenen Paradieses. Wie Martin Sheen und Sissi Spacek im Baumhaus in "Badlands". Wie Richard Gere und Brooke Adams als heimlich Liebende in Nöten in "In der Glut des Südens". Ja, und auch wie die Soldaten, deren Weg "Der Schmale Grat" verfolgte.
Natürlich ist auch dieser Film wieder lang und manch einer wird ihn langweilig finden, was auch keinem so recht zu verdenken ist. Momente der Langeweile gehen in Malicks Art des Filmemachens immer einher mit Szenen voller Brillanz und Poesie. Immerhin ist es schon mal die kürzere, jetzt wohl endgültige Fassung des Films. Auch hier präsentierte sich Malick wieder mal als Querkopf, Exzentriker und Außenseiter mit einem fast einmaligen Vorgehen. Neun Tage nach dem US-Kinostart ließ der Regisseur den Film zurückrufen (!), weil er noch nicht die gewünschte Form hatte, und schnitt eine Viertelstunde Naturaufnahmen heraus.
Wie üblich interessieren Handlung und Plotelemente Malick eh am wenigsten, es geht typisch elliptisch voran als eine Reihe von Momentaufnahmen. Eigentlich erschafft Malick ja gar keine Filme, er kreiert visuelle Gedichte aus Empfindungen, Eindrücken, Assoziationen. Die Handlung bleibt Nebensache, und in diesem Fall ist das auch gut so. Denn die Geschichte selbst verläuft eigentlich so, wie es zu erwarten ist. Es geht nicht ums Was, es geht ums Wie. Das Erfolgsrezept von "The New World" ist, wie Malick es schafft, diese klassischen Motive so künstlerisch umzusetzen, dass sie sich neu und anders als bisher gesehen anfühlen. Ein Malick-Film ist eben doch anders als die Filme aller anderen Regisseure.
Allerdings nicht anders als seine eigenen, und so enthält "The New World" sowohl positiv als auch negativ alle Zutaten und Manierismen, die aus seinem letzten Film "Der Schmale Grat" bekannt sind: die Überlänge, die Wichtigkeit von Ton und Tonschnitt, die bisweilen arg pathetischen, auch am Rand des Kitsch gebauten "philosophischen" Off-Kommentare der Figuren, exquisiteste Bildkompositionen (hier dank Kameramann Emmanuel Lubezki) und vor allem: Natur, Natur, Natur. Nicht mal der beste Werbefilm von Greenpeace oder der WWF könnte soviel Werbung für den Erhalt der Umwelt machen wie Malick.
Das könnte man jetzt Selbstplagiat nennen, oder aber auch einen erfolgreichen zweiten Versuch. Denn während dieses Vorgehen in "Der Schmale Grat" nicht immer funktionierte, passt es thematisch deutlich besser zu den gegenseitigen Entdeckungen der Engländer und Ureinwohner Nordamerikas in "The New World". Allerdings werden durch den typisch lückenhaften Stil diverse der Figuren hier auf reine Stichwortgeber reduziert, was besonders die Szenen im Fort nach der Rückkehr von Smith aus dem Rhythmus bringt. Da taucht etwa eine Bande von Jungen auf, von denen man vorher noch nie etwas gesehen oder gehört hat. Hier fehlen dann doch solch klassische Mittel wie eine korrekte Einführung von Figuren. Man lässt dem Visionär ja einiges durchgehen, nichtdiskutierbare Meisterwerke gelingen ihm aber auch aufgrund solch kleiner Stolperfallen nicht.
Die Entdeckung des Films ist sicherlich Q'Orianka Kilcher (Kusine der Folk-Pop Sängerin Jewel), die bei Drehbeginn erst 14 Jahre alt war und nicht nur die für die Figur nötige Schönheit besitzt, sondern auch Anmut und eine ausdrucksstarke Körpersprache, die für ein Mädchen ihres Alters erstaunlich ist. Auch wenn aus ihr aufgrund der begrenzten Rollenmöglichkeiten vielleicht kein Star wird, sie erleuchtet jeden Zentimeter Zelluloid, auf dem sie zu sehen ist.
Da kann auch die gute Leistung der männlichen Co-Stars Collin Farrell und Christian Bale nicht gegen an. Dass diese Schauspieler einen guten Eindruck hinterlassen ist um so höher zu bewerten, da sie ihre Emotionen wirklich spielen müssen, denn der Film vermittelt menschliche Kommunikation hauptsächlich über Blicke, Gesten, Mimik. Dialoge gibt es kaum. Was allerdings auch einen negativen Nebeneffekt hat: Damit der Film nicht über den Großteil der Laufzeit stumm bleibt, ließ Malick seine Darsteller Texte als Off-Kommentare einsprechen, was in Ordnung ginge, wenn eben jene nicht oftmals recht platt oder sogar kitschig wären. Wenn etwa Smith über die Ureinwohner murmelt, sie würden keinen Besitz und keinen Neid kennen, ist das schon ein bisschen verklärte Romantik und verquaster "der edle Wilde"-Quark. Auch verblüfft das Vorgehen selbst: Sollte ein so großartig mit visuellen Mitteln arbeitender Regisseur seinen Darstellern nicht anvertrauen, dass sie ihre Gefühle und Gedanken auch mit nichtverbalen Mitteln rüberbringen können?
Von solch unnötigen kleineren Fehlentscheidungen abgesehen ist "The New World" ganz großes Sinneskino. Nur auf das L-Wort, das man grundsätzlich immer in Zusammenhang mit Terrence Malicks Filmen hört, soll verzichtet werden, daher wird der Film hier also keinesfalls lyrisch genannt. Obwohl er das natürlich auch ist. Die Meinungen spalten wird er so oder so. Wer mit Malicks Stil bisher nichts anfangen konnte, der wird auch hier nicht glücklich werden. Wer dagegen "Der Schmale Grat" genial fand, der kann sich auf diese Reise in das Amerika des beginnenden 17. Jahrhunderts schon freuen. Ja und Malick selbst? Der sitzt wahrscheinlich schon wieder in einem entlegenen Eck der Welt und lauscht andächtig dem Lied von Flora und Fauna.
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