Jim Jarmusch ("Down by Law", "Coffee and Cigarettes"), einer der coolsten Independent-Filmemacher der USA weit abseits der Machtspielchen und Beschränkungen Hollywoods, beschert uns mit "Broken Flowers" einen Film, in dem die Dialoge unwichtiger sind als das Mienenspiel seiner Protagonisten - und beweist damit ein weiteres Mal, dass ein Regisseur, der Dinge eher andeutet als ausspricht, auch große Erfolge feiern kann. Jarmusch heimste den großen Preis der Jury in Cannes ein und kann sich nun am Kassenerfolg des Films in den USA erfreuen.
Dass ein Buchstabe ein ganzes Leben beschreiben kann, lastet wie ein Fluch auf Don Johnston (Bill Murray, "Lost in Translation"), einem alternden Weiberhelden und Computer-Millionär, der immer noch dauernd mit dem fast gleichnamigen Miami Vice-Star verwechselt wird. Von seiner jungen Freundin Sherry (Julie Delpy, "Before Sunset") frisch verlassen, hängt er auf seinem Sofa ab und starrt in die Gegend. Als er einen rosa Brief von einer seiner Verflossenen bekommt, die ihm mitteilt, er hätte einen 19-jährigen Sohn, der wahrscheinlich auf dem Weg zu ihm sei, könnte man denken, dass sich der Held sofort auf die Suche nach dem Burschen machen würde. Doch haben wir es hier mit einem Jarmusch-Film zu tun. Und darum hängt Don erst einmal weiter ab, bis ihn sein lebenslustiger äthiopischer Möchtegern-Detektiv-Nachbar Winston (Jeffrey Wright, "Shaft", "Ali") zwingt, seinen Allerwertesten vom heimischen Sofa zu schwingen, um die passenden Verflossenen aufzuspüren. Die Reiseroute und eine speziell für diesen Anlass gebrannte CD im Gepäck, wird Don so auf eine Reise durch die USA geschickt, auf der er auf Ex-Flammen trifft, deren Leben so ganz anders verlaufen ist, als er sich das damals je vorgestellt hätte.
Jim Jarmusch, von dem der mit ihm befreundete finnische Regisseur Aki Kaurismäki ("Der Mann ohne Vergangenheit") scherzhaft sagt, er sei der "langsamste Filmemacher der Welt", lässt sich auch in "Broken Flowers" viel Zeit für seine Charaktere. Er geht von einem Anfang aus, dem rosa Brief, und lässt die Motive seiner Figuren in der Vergangenheit ruhen. Der Zuschauer begibt sich wie bei einer Schnitzeljagd auf die Fährte des ominösen Briefes und achtet dabei auf alles, von dem Winston sagt, es könne für die Lösung des "Falls" von Bedeutung sein.
So entwickelt sich der Road Trip nicht nur zur Tour durch Amerika, sondern auch zur Spurensuche eines Schicksals, das nur eine von vielen Wegen ist, die der Protagonist Johnston in seinem Leben hätte einschlagen können. Dabei ist Don gezeichnet von einer Sehnsucht, die er wohl selbst nicht einordnen kann. Irgendetwas fehlt ihm oder hat ihm immer gefehlt, doch kann er es einfach nicht ausdrücken oder finden.
Bill Murray bekommt in den letzten Jahren immer weniger Dialogzeilen und wird trotzdem immer besser. Seine minimalistische Mimik ist mittlerweile so aussagestark, dass die Seele der Figuren aus seinen Zügen lesbar wird. Schon in "Rushmore" und "Lost in Translation" zeigte sich dies, aber Jim Jarmusch kitzelte noch mehr aus seinem Schauspieler heraus, dem er wie allen seiner Cast-Mitglieder große Freiheiten in der Interpretation der Figur ließ. Die brillante Performance des lange auf komische Rollen wie in "Und täglich grüßt das Murmeltier" festgelegten Murray wird auch dadurch ermöglicht, dass Jim Jarmusch Rollen gleich auf Schauspieler zuschneidet und sich nicht hinterher Schauspieler für seine Charaktere sucht.
Die Nebendarsteller sind so unterschiedlich wie sie stark sind, besonders die Frauenrollen sind wunderbar und werden von herausragenden Damen gespielt, für die es in ihrem Alter nur noch wenige so hochwertige Rollenangebote gibt. Die amüsante Figur am Rande, der Sherlock Holmes Winston, wird erst durch Jeffrey Wright zum Hingucker. Er rief sogar während der Dreharbeiten vom Set aus dauernd bei der äthiopischen Botschaft an und stellte dumme Fragen, um sich den äthiopischen Akzent besser anzueignen.
Auch die Musik ist einfach gut und treibt typisch für Jarmusch den Coolness-Faktor weit nach oben: Besonders die dauernd laufende Fusion-Jazz-CD des Äthiopiers Mulatu Astatke lässt Johnstons Ausflüge in amerikanische Ortschaften noch skurriler erscheinen, als es die seltsamen Ex-Freundinnen mit ihren sonderbaren Berufen und Geschichten sowieso schon tun.
Doch gibt es auch einen Haken an diesem filmischen Schmankerl: Die Frauenfiguren und ihre Umgebung sind in ihrer Skurrilität so überzeichnet, dass es den Zuschauer erdrückt. Die heiße Tochter mit Namen Lolita muss dann auch gleich am Liebsten nackt in der Gegend rum stehen und dann auch noch Lollis oder Eis lutschen, als hätte der Name allein nicht genügt. Dafür ist die Schlussmoral, gesprochen von Murray, leider zum Gähnen. Der Film lässt gegen Ende nach und treibt etwas ziellos vor sich hin.
Doch soll dies alles nicht davon ablenken, dass es sich bei "Broken Flowers" immer noch um einen wunderbaren und skurril-tragikomischen Film handelt, der den Zuschauer bewegen kann. Das Feld der weißen Middle Class in Amerika hat Jarmusch in seinen Filmen bisher vermieden, doch sorgt dieser Blick des Regisseurs und Autors, der sonst eher interkulturelle Missverständnisse thematisiert und Einzelgänger-Figuren aufeinander treffen lässt, auch hier dafür, dass man ein wenig mehr über Amerika und über die eigene Psyche erfährt. Und wer nach "Broken Flowers" Lust auf mehr hat: In zwei Wochen kommt die Jim-Jarmusch-Collection auf DVD heraus.
P.S.: Jim Jarmusch hatte übrigens prominente Hilfe am Anfang seiner Karriere: Wim Wenders, dessen derzeitig laufender Film "Don't Come Knocking" ein ähnliches Grundgerüst wie "Broken Flowers" hat (Vater findet nach Jahrzehnten heraus, dass er von einer Ex-Freundin einen Sohn hat), schenkte dem assistierenden Jarmusch nach seiner Dokumentation über den Regisseur Nicholas Ray das übrig gebliebene Filmmaterial, mit dem der junge Mann und ehemalige Ray-Schüler seinen ersten Film zu drehen begann: "Permanent Vacation" (1980).
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