Nach der Kurzfilm-Collage
"11'09''01" und Max Färberböcks prätentiösem
Betroffenheits-Langweiler "September" erwartet das geneigte
Programmkino-Publikum dieser Tage der dritte Kinofilm, der sich mit
den Terroranschlägen auf das World Trade Center vom 11. September
2001 beschäftigt. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern versucht
sich "The Guys" aber gar nicht erst an einer möglichst
vielschichtigen Abdeckung der verschiedenen Aspekte dieses historischen
Ereignisses, sondern reduziert den Blick auf die, die am meisten litten
und am wenigsten dafür konnten: Die Opfer.
"The
Guys" ist dabei die relativ schnell entstandene Filmfassung eines
noch schneller entstandenen Theaterstücks, in den unruhigen Tagen
der verwundeten Stadt New York nach dem 11. September geschrieben
für das kleine Stadtteiltheater "The Flea" von der
Journalistin Anne Nelson in nicht mehr als zwei oder drei Nachtsitzungen.
Dank des lokalen Regisseurs Jim Simpson erhaschte das Stück die
Aufmerksamkeit seiner Ehefrau Sigourney Weaver, die sich postwendend
bereit erklärte, die weibliche Hauptrolle des kompakten Zwei-Personen-Dramas
zu übernehmen - auch wenn das "Flea"-Theater nicht
mehr als 80 Sitzplätze enthält. Was folgte, war ein klassischer
Selbstläufer: Nach der Erstaufführung am 4. Dezember 2001
lief "The Guys" ununterbrochen für 13 Monate, und auf
der Bühne gab sich eine Wagenladung engagierter Hollywood-Stars
das Textbuch in die Hand, u.a. Bill Murray, Susan Sarandon, Tim Robbins,
Amy Irving und Tom Wopat.
Gut zwei Jahre später kommt nun die Filmfassung in die Kinos,
ähnlich wie das Theaterstück keine aufwendige, aber sehr
wirksame Produktion. Angelehnt an tatsächliche Erfahrungen der
Autorin Anne Nelson handelt "The Guys" von einer Journalistin
namens Joan (Sigourney Weaver übernahm auch im Film die Hauptrolle),
die über ihre Schwester von einem Feuerwehr-Hauptmann um Hilfe
gebeten wird: Er muss für acht seiner Männer, die am 11.
September starben, Reden für die Gedenkfeiern schreiben, und
ist angesichts des eigenen emotionalen Schocks von dieser Aufgabe
überfordert. Von der professionellen Autorin verspricht er sich
nützliche Unterstützung. Und so setzen sich Joan und Feuerwehrmann
Nick (erneut großartig: Anthony LaPaglia, "Lantana")
ins Wohnzimmer und schreiben Nachrufe - er erzählt aus dem Alltag
seiner Kollegen, was ihm gerade einfällt, sie setzt daraus passende
Reden zusammen.
Was
zunächst klingt wie ein simples Zurechtbasteln von Erinnerungen
an die großen Helden des 11. September, entlarvt schon beim
ersten Anlauf die Notlüge hinter diesem Bild: Als Joan Nick
fragt, was es über den ersten Toten zu sagen gibt, zuckt der
nur ratlos die Schulter. "Wenn er in einen Raum kam, hat ihn
keiner bemerkt …. Aber das kann man doch nicht sagen. Dieses
Gerede von Helden - als wäre alles ein Film …". Dies
ist kein Film über Helden, jedenfalls nicht im herkömmlichen
Sinne. Keiner der über 300 toten Feuerwehrleute des 11. September
sah sich selbst als Held oder wurde von seiner Umgebung so gesehen,
letztendlich waren sie alle ganz normale Kerle, die vielleicht gar
nicht so besonders waren, und vom Schicksal eine historische Rolle
zugespielt bekamen, die sie sicherlich nicht haben wollten.
Joan wäre keine gute Journalistin, wenn es ihr nicht gelingen
würde, aus Nick genug Informationen herauszubekommen, die für
angemessene Nachrufe reichen, und ein kleines bisschen ist "The
Guys" auch ein Lehrstück darüber, was ein begabter
Schreiberling aus Bruchstücken und Erinnerungsfetzen zusammen
zimmern kann, denn Joan's Behelfslösungen erweisen sich allesamt
als angemessen und bewegend.
Was
natürlich nicht der Punkt des Ganzen ist. Es geht um das Schicksal
dieser ganz normalen Leute, des Jedermanns von nebenan, über
den wir gar nicht viel sagen können, der für uns selbstverständlich
ist, bis er einfach weg ist. Ausgelöscht von einem Ereignis
soviel größer als wir selbst, das uns zurücklässt
mit unfertigen Erinnerungen, ohnmächtiger Trauer und zielloser
Verzweifelung. Eine Verzweifelung, der sich auch die abgebrühte
Journalistin und ehemalige Kriegskorrespondentin nicht verschließen
kann: Mit professioneller Distanz versucht Joan zunächst, sachlich
zu bleiben, führt Nick immer wieder zu den Fakten zurück,
wenn er abzudriften droht in Niedergeschlagenheit und Wehmut. Sie
sieht zunächst nur Geschichten, Anekdoten, gute Zitate - das
Handwerkszeug ihrer Profession. Doch auch sie kann sich nicht ewig
verstecken, wird schließlich ebenso wie Nick von ihren Gefühlen
eingeholt und teilt mit und stellvertretend für die ganze Stadt
New York die blanke Ohnmacht dieser September-Tage, das Bedürfnis
etwas tun zu wollen aber nichts tun zu können, um den Schrecken
und die Trauer zu lindern.
Von Theater-Regisseur Jim Simpson gekonnt in Filmform adaptiert
(trotz des räumlich beschränkten Sets versteht es der
Inszenator, den Film auch visuell abwechslungsreich zu halten) geht
es "The Guys" um keine relevante Reflexion des Geschehenen,
keiner spricht hier von Weltpolitik, von Quellen und Ursachen des
Terrorismus, niemand sagt etwas schlechtes über Araber und
nicht einmal sieht man die brennenden Twin Towers. Dies ist kein
Film über das Ereignis an sich, sondern darüber, was es
mit uns gemacht hat. Dass es uns - und wenn auch nur für ein
paar Tage - dazu gebracht hat, aus unserer Lethargie auszubrechen
und uns für die Menschen um uns herum zu öffnen. Und dass
es wichtig ist, das alles nicht zu vergessen, wenn all die Bilder
und Blumen und Suchanzeigen und Nachrufe verschwunden sind, und
alles wieder ist wie vorher (ist es das?). Am 11. September starb
nicht das westliche Gefühl von Sicherheit, starb nicht der
amerikanische Unantastbarkeits-Mythos, am 11. September starben
Menschen wie du und ich, die Leute von nebenan, die Jungs aus der
Feuerwache. Sie konnten nichts dafür, sie hatten nichts damit
zu tun, und sie bezahlten den höchsten Preis. Es ist ihre Erinnerung,
die es zu bewahren gilt. Schon allein deshalb ist "The Guys"
bisher der beste und wichtigste Film zum 11. September 2001.
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