Die Aufarbeitung nationalsozialistischer Geschichte im Film ist kein einfaches Unterfangen. Ein solches Werk darf nicht verharmlosen, aber auch nicht zu verstörend für das Publikum sein, dass sich sonst emotional abschottet. Gleichzeitig aber darf ein solcher Film auch nicht zu kitschig sein und sollte in seiner Wirkung nachfolgende Generationen von Kinogängern dazu bringen, dass es nie wieder zu solchen Gräueln kommen kann. Klingt schwierig, ist es auch.
Es gibt hervorragende Filme wie „Schindlers Liste“, die emotional gerade noch zumutbar und äußerst wirksam das Grauen dieser Zeit näherbringen können. Dann gibt es Werke, die genau auf der Klippe zwischen Kitsch und Tragödie balancieren wie Roberto Benignis „Das Leben ist schön“ und dort hervorragend funktionieren. Und dann gibt es noch eher unglückliche Versuche von Aufarbeitung wie „Die Kinder von Paris“ von Roselyne Bosch. In diese letzte Kategorie fällt leider auch Gilles Paquet-Brenners „Sarahs Schlüssel“, der wie „Die Kinder von Paris“ die lange verdrängte französische Beteiligung an der Massenverhaftung und Auslieferung von in Frankreich lebenden Juden an die Deutschen im 2. Weltkrieg thematisiert.
Die Beteiligung der französischen Vichy-Regierung und der Polizeibeamten war jahrzehntelang ein Tabu in Frankreich. Erst am 16. Juli 1995 entschuldigte sich der damalige französische Staatspräsident Jacques Chirac öffentlich dafür. Am 16. und 17. Juli 1942 wurde eine geplante Razzia (franz. Rafle) in Paris durchgeführt, bei der 13.000 Juden, unter ihnen über 4.000 Kinder, festgenommen wurden. Die festgenommenen Juden wurden in einer Radsporthalle, dem Vél d’Hiv (kurz für Vélodrome d’Hiver) zusammengepfercht. Diese Aktion wurde als „la grande rafle du Vel’ d’Hiv’“ bekannt. Die mit einem Glasdach versehene Halle wurde sehr heiß, es gab keine Toiletten, Nahrung und Wasser gab es kaum. Nach fünf Tagen wurden die Juden über andere Lager bis nach Auschwitz transportiert.
„Sarahs Schlüssel“ basiert auf dem Roman „Elle s’appelait Sarah“ (2006) von Tatiana De Rosnay. Der Film erzählt zwei Geschichten auf einmal, zwischen denen hin und her geschnitten wird: 1942 kitzelt das Mädchen Sarah (Mélusine Mayance) gerade ihren kleinen Bruder, als die Polizei klingelt, um die Familie zu verhaften. Sie schließt ihren Bruder in einen Schrank ein, der auf den ersten Blick aussieht wie ein Stück Tapete und den die Polizisten somit auch nicht entdecken. Die restliche Familie wird im Vel d’Hiv eingesperrt, während Sarahs Bruder im Schrank eingesperrt bleibt. Sarah wird schließlich in ein Lager gebracht, von wo aus sie flieht, um ihren kleinen Bruder zu befreien. 2009 entdeckt die Journalistin Julia Jarmond (Kristin Scott Thomas) zufällig während der Arbeit an einem Artikel übe die damalige Razzia, dass die Geschichte Sarahs mit ihrer eigenen zusammenhängt, da ganz zufällig Sarahs Familie aus der Wohnung vertrieben wurde, die seit Jahrzehnten der Familie von Julias zukünftigem Mann Bertrand gehört und in die sie nun einziehen soll.
Die Geschichte der Sarah, die sich im Film über Jahrzehnte entwickelt, ist emotional wirksam und visuell immer angemessen umgesetzt. Die grauenhaften Momente, in denen Familien abgeholt, ohne Toiletten, Wasser und Nahrung eingesperrt werden und schließlich sogar die Kinder von ihren Müttern getrennt werden, sind hervorragend eingefangen, zum Teil mit Handkameras mitten im Gemenge. Doch die gesamte Hälfte des Films, die 2009 spielt, ist so ein Unfug, dass es kaum auszuhalten ist.
Nicht nur werden hier unfassbar dumme Dialoge gebracht, wenn sich zum Beispiel die Journalisten über Vel d’Hiv unterhalten, als seien sie selbst klischeehaft „dumme Amerikaner“ oder wenn die im Film seit Jahren in Paris als Journalistin arbeitende Figur Julia Jarmond jemanden fragt, ob früher Juden im Marais wohnten – eine Tatsache, die der durchschnittliche Tourist schon in ca. drei Minuten aus seinem Reiseführer erfährt und die wirklich jedem geläufig ist, der in Paris wohnt. Dramaturgisch holpert die Entwicklung auch über Stock und Stein, um schließlich in einem solch kitschigen Ende zu gipfeln, dass ein Zuschauer mitten in der Vorführung auf dem Filmfest Hamburg brüllte „Das kann nicht wahr sein!“.
Man wünscht sich, Regisseur Gilles Paquet-Brenner hätte nur Sarahs Geschichte verfilmt und die Neuzeit beiseitegelassen. Dann wäre dieser Film ein guter Beitrag zur Aufarbeitung nationalsozialistischer Geschichte geworden und kein sentimentales Betroffenheitskino.
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