Zwei mexikanische Filme sorgten im letzten Jahr für internationalen Aufruhr: Der erste, die tiefsinnige Teenager-Komödie "Y tu Mama tambien", wegen seiner schieren Qualität (weswegen er auch unisono von allen großen amerikanischen Kritikern zum besten ausländischen Film des Jahres gekürt wurde), der zweite, eben diese Literatur-Verfilmung "Die Versuchung des Padre Amaro", wegen seiner prestigeträchtigen Vorlage und dem - zumindest für gute Katholiken - sehr skandalösen Inhalt. Bei der zuständigen mexikanischen Institution hat man sich wohl gedacht, dass man mit einem Priester-Drama bei der Oscar-Akademie mehr Chancen hätte als mit einer Teenie-Komödie, und schickte ergo die Geschichte von Padre Amaro ins Rennen um den Preis für den besten fremdsprachigen Film. Glück für Caroline Link, die - mit dem härtesten Konkurrenten bereits aus dem Rennen - den Oscar einsackte, Pech für Mexiko, das sich durch diese engstirnige Entscheidung selbst um den Preis brachte.
Die portugiesische Roman-Vorlage dieses vermeintlichen Skandalwerkes stammt aus dem 19. Jahrhundert und wurde für die Verfilmung erst einmal komplett runderneuert: Die Übertragung der Handlung ins mexikanische Hier und Heute ließ von den Details wohl nicht mehr viel übrig, ist aus der Perspektive des heutigen Zuschauers aber sicher leichter zu verfolgen. Der junge, idealistische und aufstrebende Padre Amaro wird zur Vervollständigung seiner Ausbildung vom Bischof in die ländliche Gemeinde von Padre Benito versetzt, die eigentlich nur eine Durchlaufstation darstellen soll, bevor Amaro die höheren Ämter antritt, zu denen er berufen zu sein scheint. Im idyllischen Örtchen angekommen, stellt Amaro indes bald fest, dass hinter der gutgläubigen und hochmoralischen Fassade doch so einiges bröckelt am festen Mauerwerk des Katholizismus: Padre Benito benutzt kirchliche Fonds, um das dreckige Geld eines lokalen Drogenbarons zu waschen, und errichtet von den Gewinnen ein neues Gemeindekrankenhaus. Gleichzeitig pflegt er eine lang anhaltende Liebesaffäre mit Sanjuanera, Besitzerin der örtlichen Gaststätte. Verwirrt von dieser Doppelmoral seines neuen Vorgesetzten, findet sich Amaro allerdings bald in seinem ganz eigenen Herzensdilemma wieder: Er verliebt sich in die bildhübsche und erzgläubige Amelia, die Tochter Sanjuaneras, und ihre Affäre wird Amaro bald in Probleme stürzen, die mit keiner einfachen moralischen Lösung mehr aus der Welt zu schaffen sind.
Ein recht anspruchsvolles Unterfangen, das Regisseur Carlos Carrera
hier versucht hat, denn die Aktualisierung eines Skandalromans des
19. Jahrhunderts muss in der heutigen Zeit nicht zwangsläufig
dieselben Reaktionen auslösen - und das tut sie auch nicht.
"Die Versuchung des Padre Amaro" krankt vor allem an der
Tatsache, dass er für die meisten Zuschauer schlichtweg nicht
skandalös ausfallen wird. Es hat schon mehr als genug Filme
und Miniserien (man erinnere sich nur an "Die Dornenvögel")
gegeben, die sich mit dem priesterlichen Zölibat und den daraus
entstehenden Konflikten beschäftigt haben, so dass das Dilemma
Amaros hier nichts wirklich Neues zu sagen hat, und ergo keine wirkliche
Empörung auslösen kann - es sei denn, man ist überzeugter
Katholik.
Denn für diese spezielle Zielgruppe wird "Die Versuchung
des Padre Amaro" auf ganzer Linie funktionieren. Wenn Amelia
z.B. in der Beichte
gesteht, dass sie bei der Selbstbefriedigung an Jesus Christus denkt,
oder Amaro seine Geliebte in ein Mariengewand hüllt, bevor
er mit ihr ins Bett geht (und somit symbolisch Sex mit der heiligen
Jungfrau hat), dürfte das bei den meisten Zuschauern keine
besonderen Reaktionen hervorrufen, während sich die gut katholischen
Teile des Publikums hier angewidert abwenden werden. Der gesamte
Film basiert in seiner Dramaturgie auf explizit katholischen Symbolen
und Konflikten, so dass sich die tatsächliche Schwere von Benitos
und Amaros speziellen Sündenfällen und deren Auflösung
für einen Nicht-Kenner der vatikanischen Institution nur schwer
erschließen wird. Dass ein solcher Film sowohl bei der katholischen
Kirche selbst als auch in Ländern mit stark christlichem Gesellschaftsfundament
teils heftige Proteste hervorruft, ist verständlich. In tendenziell
eher humanistisch veranlagten Gemeinschaften wird das Aufheben weitaus
geringer ausfallen.
So
begeht "Die Versuchung des Padre Amaro" aus nicht-katholisch
filmkritischer Perspektive denn auch den Fehler, sich zu sehr auf
die Konflikte Amaros zu konzentrieren, und den Skandal um das gewaschene
Drogengeld zu schnell aus den Augen zu verlieren. Eine Antwort auf
die von Benito vorgebrachte, pragmatische Entschuldigung seines
Handelns (gegen die Drogen kann er nichts machen, also kann er wenigstens
mit dem Geld etwas Gutes für die Gemeinde tun) liefert der
Film nicht und verspielt somit leichtfertig die Chance auf eine
interessante moralische Diskussion jenseits des Dogmas.
Das sind alles recht unglückliche Umstände für einen
Film, der an sich von kenntnisreicher Hand inszeniert ist und in
seinem begrenzten, selbstgesteckten katholischen Rahmen auch durchaus
die gewünschte Wirkung zeigt, auch wenn ein anfangs reichlich
behäbiges Pacing eindeutig verbesserungswürdig gewesen
wäre. Besondere Erwähnung hat sich auch Amaro-Darsteller
Gael Garcia Bernal verdient, der nach "Amores
Perros" und "Y tu Mama tambien" bereits in der
dritten international beachteten Produktion Mexikos binnen zwei
Jahren eine Hauptrolle spielt. Dass er sogar von der Oscar-Akademie
eingeladen wurde, um einen Preis zu übergeben, lässt erahnen,
dass diesem Jungen noch eine interessante Karriere bevor steht.
Trotzdem bleibt der entscheidende Faktor für die Wirkung von
"Die Versuchung des Padre Amaro" der ethisch-religiöse
Hintergrund seines Publikums, und deshalb bleibt das erörterte
Fazit bestehen: Ein empfehlenswerter Film für Katholiken, alle
anderen Konfessionen können zuhause bleiben.
Neuen Kommentar hinzufügen