Dies ist eine wahre Geschichte. In den meisten
Fällen, besonders in der Umgebung von billigen TV-Filmen, ist
dieser Hinweis bezüglich der Handlung eines Films ein Grund
zur Flucht oder zum Griff nach der Fernbedienung, denn für
gewöhnlich werden hier tragische Geschichten der Realität
so lange überhöht und dramatisiert, bis ihr tragisches
Tearjerker-Potential an die Grenzen des Erträglichen stößt.
Nicht im Falle von "Long Walk Home", der indes auch eine
wahre Geschichte zu erzählen hat, die wahrhaft tragisch genug
ist.
Über
100 Jahre wurden in Australien die Mischlingskinder von Aborigines,
den Ureinwohnern des fünften Kontinents, und Weißen gewaltsam
von ihren Eltern getrennt. In der Absicht, diese schwarzen Bevölkerungsteile
quasi wegzuzüchten, wurden diese Kinder in entlegene Erziehungsheime
gebracht und als Haushaltshilfen und Feldarbeiter ausgebildet, die
als Erwachsene als Bedienstete bei weißen Familien arbeiten
sollten. Dass diese Praxis nicht nur von der Regierung gesetzlich
abgesichert war, sondern auch unglaublicherweise noch bis ins Jahr
1970 vollzogen wurde, stellt eine der größten Menschenrechtsverletzungen
der modernen westlichen Gesellschaft dar und macht verständlich,
warum die weiße Mehrheit in Australien immer noch sehr viel
Wiedergutmachung zu leisten hat gegenüber den Ureinwohnern.
"Long Walk Home" nun ist die Geschichte von Daisy, Gracie
und Molly, drei Mädchen im Alter von 8 bis 14 Jahren, die im
Jahre 1931 ihren Müttern entrissen und in eben solch ein Erziehungslager
gebracht wurden. Schon bei der Darstellung dieses Lagers zeigt sich,
dass Regisseur Phillip Noyce, gebürtiger Australier, seine
Geschichte nicht sensationalisiert und überzeichnet, wie es
andere Leute tun würden: Das Lager ist kein Horrorszenario,
in dem Kinder misshandelt oder quasi versklavt werden. Den wahren
Vorgaben entsprechend, sieht man hier ein vielleicht karges, aber
von den Absichten her gutes Heim. Die Regierungsverantwortlichen
und Nonnen, die diese Lager leiteten, waren davon überzeugt,
das Beste für die Kinder zu tun, wenn sie sie zu guten christlichen
Weißen umerziehen würden. Trotzdem: Für eine traumatische
Erfahrung war es weitaus genug, 1500 Meilen von den eigenen Eltern
entfernt zu sein und nicht mehr die eigene Sprache sprechen zu dürfen.
Molly, die älteste und cleverste der drei Mädchen,
ergreift die Initiative und reißt mit den anderen beiden aus,
mit einem Spurenleser auf den Fersen und nur einem einzigen Orientierungspunkt:
Ein Kaninchenzaun, der sich von Norden nach Süden durch fast
ganz Australien erstreckt, um gegen landesweite Nagerplagen zu helfen,
und eben auch am Heimatdorf der Mädchen vorbei läuft.
"Long Walk Home" (was übrigens nicht der Originaltitel
des Films ist, der ursprünglich nach dem so bedeutsamen Zaun
"Rabbit-proof fence" benannt wurde) mischt geschickt die
deutliche Anklage des Systems mit dem spannungsvollen Aufbau der
langen Reise zurück nach Hause, und verhindert so, dass er
sich selbst in zuviel Botschaft verliert. Die entsprechende Anklage
findet hier eleganterweise ohnehin indirekt statt: In der Rolle
von A.O. Neville - einem Regierungsbeauftragten, der damals der
gesetzliche Vormund sämtlicher Aborigines in West-Australien
war - glänzt Kenneth Branagh in wenigen, aber bedeutsamen Szenen,
in denen die verquere Logik des Systems dokumentiert wird: Die von
Neville vorgetragene Auszüchtungspolitik ist in seinen Augen
vielleicht von korrekten Intentionen gelenkt, nichtsdestotrotz aber
immer noch rassistisch ohne Ende. Dass die Aborigines von den herrschenden
Weißen als Untermenschen zweiter Klasse angesehen wurden,
muss hier nicht explizit gesagt werden, es ist mehr als deutlich
im Handeln der Obrigkeit.
In
der Inszenierung der Heimwanderung machen sich derweil Noyce's Erfahrungen
als Action-Regisseur bezahlt: In vielen weitestgehend wortlosen
Verfolgungssequenzen versteht er es exzellent, mit einfachsten Mitteln
Spannung zu erzeugen, und gleichzeitig die vielseitige Cleverness
der Mädchen als auch den verschlossenen Geist ihres Verfolgers
einzufangen. Atemberaubende Bilder der unendlichen Weiten des australischen
Outbacks geben dazwischen immer wieder einen sehr konkreten Eindruck
der enormen Entfernungen, die diese drei Mädchen durch unstetes
Gelände und ohne Hilfsmittel bewältigten. Und ganz leise
schwingt im Hintergrund die Ironie mit, dass ein Zaun, Mittel der
Aus- und Abgrenzung, hier zu einem Symbol der Hoffnung und Freiheit
wird.
Subtil und aussagekräftig auf vielen Ebenen, kann man "Long Walk Home" höchstens vorwerfen, dass er sehr überraschungsarm verläuft und nicht viel Unvorhergesehenes passiert. Aber das wäre wieder eine Überhöhung realer Ereignisse, und wenn Molly Craig (von deren tatsächlicher Enkelin die Buchvorlage des Films stammt) die Geschichte ihrer langen Wanderung so weitererzählt hat, dann soll sie auch nicht anders dargestellt werden. Denn manche Geschichten gehören erzählt einfach nur wegen dem, was sie zu sagen haben. Und diese gehört eindeutig dazu.
Neuen Kommentar hinzufügen