Das heutige Israel. Der Flughafen von Tel Aviv. Acht Männer steigen aus und es wird schnell ersichtlich, dass sie alles andere als hineinpassen in diese Szenerie. Sie scheinen in ihren feinen blauen Uniformen wie aus einer anderen Zeit gefallen. Bei den Männern handelt es sich um die Mitglieder des Alexandria Polizeiorchesters. Der Film "Die Band von Nebenan" erzählt ihre Geschichte.
Das renommierte Orchester soll in der israelischen Stadt Petah Tikva bei der Eröffnung des arabischen Kulturinstituts spielen. Doch durch einen kleinen Übersetzungsfehler fährt der Bus leider nicht nach Petah Tikva, sondern nach Beth Hatkva: eine kleine Siedlung in der Wüste, in der es weit und breit kein Kulturzentrum gibt. Dina (Ronit Elkabetz), die Wirtin, die das Orchester anspricht um nach dem Weg zu fragen, meint dazu nur lakonisch: "Gibt kein arabisches Zentrum hier. Keine Kultur, keine israelische Kultur, keine arabische, gar keine Kultur. Scheißgegend." Und der Bus? Der Bus fährt natürlich erst wieder morgen und so ist das Alexandria Polizeiorchester ganz auf die Gastfreundschaft der Wirtin und ihrer Freunde angewiesen.
Eran Kolirins Regiedebüt ist einer jener seltenen Glücksmomente im Kino, die einem das Herz öffnen und befreit von jeglicher Melodramatik von dem einzig Wichtigen erzählen - von den Menschen und ihren kleinen und mitunter auch ihren ganz großen Sorgen. In "Die Band von Nebenan" treffen eine Nacht lang Menschen aufeinander und erleben etwas, was ihnen wohl lange verwehrt blieb: Verständnis, Zuneigung und ein offenes Ohr. Was stört es, dass die Bewohner der Wüstenstadt kein Wort arabisch sprechen und die Mitglieder des ägyptischen Polizeiorchesters kein Wort hebräisch. Die wenigen Brocken Englisch reichen völlig.
So auch bei Dina und dem Dirigenten Tewfiq Zakaria (Sasson Gabi). Die sehr selbstbewusste und freche Frau nimmt den ruhigen und wesentlich gesetzteren "General" mit in die Stadt. Ihr offenes Auftreten und ihre Eloquenz nötigen dem kleinen faltigen Gesicht des Mannes eine sichtliche Bewunderung ab. Auch wenn er das nie zugeben würde. Als ihm Dina einen Mann zeigt, mit dem sie ab und zu schläft, und sich dann noch herausstellt, dass dieser eine Familie hat, merkt man wie verschieden die beiden eigentlich sind. Tewfiqs Frauenbild ist wohl ein anderes, und doch schafft es Dina in dieser Nacht ihn aus seiner Verschwiegenheit zu lösen und herauszufinden, was Tewfiq zu diesem verschlossenen Mann gemacht hat. Wen wundert es, dass Dina auch ihrerseits nur eine muntere Fassade vor sich trägt, wie das Make-up auf ihrem Gesicht.
Währenddessen äußert sich ein anderer Aspekt an Zuneigung, wenn das jüngste Orchestermitglied Khaled (Saleh Bakri) zusammen mit zwei Israelis die Nacht in einer Rollschuh-Disco verbringt. Als aus seinem eigenen Flirtversuch nichts wird, verhilft er auf eine unfassbar witzige aber zugleich sehr berührende Weise dem verklemmten Papi (Shlomi Avraham) zu seiner ersten erfolgreichen Annäherung und damit zu seinem ersten Kuss. Völkerverständigung mal anders, und im Hintergrund läuft dazu Bobby Hebs Klassiker "Sunny".
Der Film rückt aber auch die Konflikte innerhalb des Orchesters immer wieder ins Zentrum. Besonders gelungen ist dies in der Person von Simon (Khalifa Natour), der schon bevor er die Polizeiakademie verlassen hat ein eigenes Stück für das Orchester komponiert hat. Aber bis heute fehlt der Schluss. Dafür wird er oft von den anderen Mitgliedern belächelt. In dieser Nacht, nach einem wunderbar melancholischen Gespräch mit dem gestressten Itzik (Rubi Moscovich) wird Simon die Idee für das Ende kommen.
Das herausragende an Eran Kolirins Film ist, dass er hier den Crash der Kulturen nicht als Zusammenprall, sondern vielmehr als Zusammenkommen inszeniert. Wenn dann dieser Moment zustande kommt, dann treten die soziale und politische Herkunft in den Hintergrund. Was bleibt ist der Mensch, mit all seinen kleinen Sehnsüchten, Ängsten und Träumen. In diesem Augenblick erkennt man - und der Film vollzieht dies meisterhaft - dass uns alle mehr eint als trennt.
Es kann also durchaus als Skandal bezeichnet werden, dass obwohl Israel "Die Band von Nebenan" ins Rennen um den Fremdsprachen-Oscar schicken wollte, die Academy den Film zurückwies. Begründung: Da der Film mehr als 40 Prozent in englischer Sprache gedreht worden ist, kommt er für die Kategorie "Fremdsprachiger Film" nicht in Frage. Die engstirnigen Statuten der Oscar-Akademie hin oder her, kann man sich immerhin darüber freuen, dass "Die Band von Nebenan" in unseren Kinos anläuft und die Augen aller Kinofreunde zum leuchten bringen wird.
Es stellt sich nur die Frage, ob man es hierzulande wirklich wagt (oder wagen sollte) eine Synchronfassung für diesen Film herzustellen. Denn ohne sein Sprachgewirr, ohne das schlechte Englisch zwischen Dina und Tawfiq wird es wohl nicht zu dieser zauberhaften Atmosphäre kommen, die jeden, der kein Herz aus Stein hat, berühren sollte. Dieser Film ist ein pures Juwel des Autorenkinos, eine zutiefst bewegende und humane Hymne, die das Leben und die Menschen fernab ihres sozio-politischen Hintergrundes feiert, wie man es lange im Kino nicht mehr gesehen hat.
Am Anfang des Films steht eingeblendet: "Es war einmal eine verlorene Kapelle in der Wüste ... Kaum jemand erinnert sich an diese Geschichte. So wichtig war sie nicht." Am Ende dieses Kinomärchens sollten wir dem Regisseur auf Knien danken, dass er sie doch erzählt hat - denn diese Geschichte ist mehr als nur wichtig.
Neuen Kommentar hinzufügen