Der sechsjährige Cenk (Rafael Koussouris) versteht die Welt nicht mehr. In der Schule wird er gehänselt, weil er aus Anatolien kommt. Dabei ist seine Mutter Deutsche und nur sein Vater Türke. Seine türkischen Großeltern Hüseyin (Vedat Erincin) und Fatma (Lilay Huser) haben gerade erst die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen bekommen, was Cenks Dilemma noch vergrößert. Ist er nun Deutscher oder Türke? Bei einem Familienessen verlangt er lautstark eine Antwort. Um den Jungen etwas zu beruhigen, erzählt ihm seine Cousine Canan (Aylin Tezel) die ganze Familiengeschichte.
Das ist der eine Erzählstrang von Yasemins Samderelis Kinodebüt "Almanya - Willkommen in Deutschland", welches sie zusammen mit ihrer Schwester Nesrin geschrieben hat. Der andere Teil der Erzählung beginnt ebenfalls bei jenem Familienessen. Dort verkündet Hüseyin, das Familienoberhaupt, dass er ein Haus in der Türkei gekauft hat. Jetzt soll die ganze Familie die kleine Ruine in den Ferien wieder aufbauen.
"Almanya - Willkommen in Deutschland" ist Komödie und Drama in einem. Drama, weil die Samdereli-Schwestern (die auch schon am deutschen TV-Hit "Türkisch für Anfänger" maßgeblich beteiligt waren) von Problemen und Folgen der deutschen Gastarbeiterpolitik erzählen und somit natürlich mitten in den Kern der aktuellen Integrationsdebatte vordringen. Komödie, weil sie ihre Erzählung in helle, muntere Bilder packen und ihre Inszenierung stets darauf bedacht ist, der ganzen Thematik mit einem intelligenten Witz zu begegnen.
Besonders gelungen ist dabei die in Rückblenden erzählte Geschichte der Großeltern. Es trägt schon Züge von Fellini oder Lubitsch, wenn Canan ihrem Bruder erzählt wie sich Oma und Opa kennengelernt haben. Und wenn der junge Hüseyin dann als Gastarbeiter Nummer 1.000.001 wegen seiner Höflichkeit den großen Preis für den Jubiläumsarbeiter verpasst, erreicht der Film seine wahre Kraft.
Genau in dieser Phase ist dann auch der vielleicht schönste Regie-Einfall zu finden. Wenn Hüseyin seine ganze Familie nach Deutschland holt, sprechen alle Familienmitglieder perfektes Deutsch untereinander. Nur die Deutschen sprechen ein aberwitziges Gebrabbel, dass je nach Standpunkt an Dänisch oder die fiktive Sprache Charlie Chaplins aus seinem Meisterwerk "Der große Diktator" erinnert. Damit vermittelt "Almanya" mit ganz einfachen, aber hoch effektiven Mitteln das Gefühl der Fremde und des Kulturschocks und macht es so für den Zuschauer sehr anschaulich erfahrbar.
Leider kann der zweite Erzählstrang nicht mit der Kraft des ersten mithalten. Die Reise der Familie in die Türkei will vor allem die innerfamiliären Konflikte beleuchten und verfängt sich dabei in oberflächlichen Klischees. Das Verhältnis von Cenks Onkeln wirkt ebenso unglaubwürdig, wie Canans anfänglich geheime Schwangerschaft. Selbst der Humor wirkt hier flacher, fast schon belangloser.
Spätestens, wenn die Familie in einem alten Bus durch die Straßen Anatoliens fährt, wandelt sich "Almanya" mehr und mehr zu einem Abklatsch des US-Indies "Little Miss Sunshine". Das ist dann auch zuviel des Guten: Durch die unnötig kompliziert verschachtelte Narration verliert der Film an Tempo und Wirkung. Es ist schade, dass er gerade in dem Teil, der im Hier und Jetzt spielt, so schwächelt. Hätte man die bitterböse Ironie aus der Rückblendenerzählung auch in diesen Teil übernehmen können, dann wäre "Almanya" sicherlich ein kleines Meisterwerk geworden.
Das ändert aber nichts daran, dass "Almanya" ein Film ist, der ein sehr großes Publikum erreichen wird und das auch verdient hat. Schon bei seiner Weltpremiere auf der diesjährigen Berlinale hat sich gezeigt, dass das Werk das Zeug zum Publikumsliebling hat. Dagegen ist auch absolut nichts einzuwenden. Schließlich ist die nette Verspieltheit der Samderelis hundertmal angenehmer als Til Schweigers Komödienterror.
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