Die große Depression

Jahr
2005
Laufzeit
87 min
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Margarete Prowe / 29. Januar 2011

 Mitten im aktuellen Bundeswahlkampf, in dem Politiker uns fortwährend erzählen, wie schlecht alles und alle sind (und das an allem die anderen Schuld sind), findet der Wähler nun ein kleines Antidepressivum - auch wenn der Titel anderes vermuten lässt: "Die große Depression - Eine Komödie zur Lage der Nation", die sich damit auseinandersetzt, warum hierzulande alle so viel jammern und stöhnen. Geht es uns wirklich so schlecht, oder ist der deutsche Michel einfach nur ein Jammerlappen, der nicht anders kann als sich immerfort zu beschweren? Dieser und anderer Fragen geht der optisch an Mr. Bean erinnernde schwäbische Dokumentarfilmer Konstantin Faigle auf amüsante Art und Weise in seiner Doku nach.

Konstantin Faigle, der für sein Debüt "Out of Edeka" (über den Edeka-Laden seiner Eltern) mit dem Bayrischen Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet wurde, hat ein Problem: Seine Freundin Amparo eröffnet ihm, dass sie schwanger ist. Faigle ist so gar nicht glücklich, nun auch noch ein Kind in dieses deutsche Jammertal zu setzen, und beschließt herauszufinden, wie die Befindlichkeit in seinem Heimatland eigentlich wirklich ist. Mit einem Kleinbus und ein paar Kollegen macht er sich auf einen Road Trip der Ursachenforschung und bereist die Orte, an denen Deutschland am urtypisch deutschesten zu sein scheint. An der Loreley wird passend das Lied dazu geträllert: "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin". Zum Schloss Neuschwanstein muss es natürlich auch gehen, wo flink einer aus dem Team als Ludwig II. von Bayern (der auch an Depressionen litt) verkleidet und dann Touristen vorgestellt wird.
Auf dem Weg durch die Republik trifft der Filmemacher unter anderem auf Kuckucksuhren, eine Hartz-IV-Demo, einen selbst erklärten Guru und einen Haufen von "Experten". Vom erfolgreiche Managerhandbücher schreibenden Pater Anselm Grün bis zur Emanze der Nation Alice Schwarzer, vom Gen-Professor Dr. Florian Holsboer bis zur Mem-Expertin Vera F. Birkenbihl erklären sie ihm, warum die Deutschen so viel jammern. Episoden deutscher Geschichte werden mit Puppen dargestellt, und zwischen den Interviews Experimente und Musicaleinlagen eingestreut.

Faigle hat mit "Die große Depression" eine sehr witzige Bestandsaufnahme von Deutschland gemacht, über die man sich freuen kann. Immer ironisch angehaucht wird hier alles auf die Schippe genommen, was vor die Kamera kommt. Nicht einmal vor dem eigenen Vater und sich selbst macht der Schwabe halt.

Doch gibt es auch Szenen, über die man nur müde lächeln kann. Eine Musical-Einlage über Barbarossa und ein blutbefleckt seine eigene Geburt nachempfindender, nackter Filmemacher wären zum Beispiel nicht wirklich nötig gewesen. Der Film hat zudem seine Längen, wie zum Beispiel eine ewige Fahrt in Serpentinen, die man auch hätte kürzen können. Die Klärung von Faigles persönlicher "kleiner Depression" (der Streit mit seiner Freundin) passt nicht wirklich in diesen Film und scheint nur hinein genommen worden zu sein, um Nabelschau zu betreiben und Alice Schwarzer etwas über das Verhältnis zwischen den Geschlechtern sagen zu lassen.
Zwar versuchen alle Experten vollkommen ernsthaft, dem Filmemacher ihre Fachgebiete nahe zu bringen, doch in Faigles Inszenierung wirken sie oft unfreiwillig komisch. Besonders die Mem-Expertin Birkenbihl, die meint, dass sich negative Ideen virenartig verbreiten können, und in ihrem voll gestopften Kämmerlein wild und atemberaubend schnell Diagramme mit dicken Eddings malt, ist eines der Highlights des Films. Trotzdem wird in "Die große Depression" der Bogen nicht überspannt und Menschen Stefan Raab-artig bloßgestellt. Der Drahtseilakt zwischen Humor und latenter Gemeinheit gelingt Konstantin Faigle spielend.

Trotz gewisser Schwächen hat "Die Große Depression" einen kleinen Orden verdient: Hier traut sich mal ein deutscher Regisseur an das große Dokumentarfilmer-Vorbild Michael Moore heran. Doch wo Moore mit dem polemischen Holzhammer auf die Zuschauer los geht, belässt es Faigle bei zarter Ironie und Verballhornung. Wie er selbst von sich sagt, nachdem er es nicht geschafft hat, zum Chefredakteur der Bild-Zeitung vorzudringen: "Ich bin kein Michael Moore".
Unser polemisch sparsamer Schwabe sollte sein Licht nicht unter den Scheffel stellen: "Die große Depression" schafft zwar weder Arbeitsplätze noch stopft sie Steuerlöcher, doch ist sie ein filmisches Antidepressivum, das uns wieder zum Lächeln bringt.


10
10/10

So durchgeknallt und so unbekümmert, so tief in den Kübel von Genres und Erzählweisen greifend,um Geschichten simpel (Blödian würde sagen: peinlich simpel - aber das ist Mut) zu erzählen, und ohne, dass was weggekürzt würde: S'ist Witz und Leichtigkeit. Und so viel Mut zur gleichzeitigen Auflösung und Zusammenführung zwischen Privat und Allgemeingesellschaftlich ("Kopfweh als Bauchweh" - Thomas Palzer über FSK) - also wirklich, wie geht das?! Hut ab!

Permalink

10
10/10

Lieber Konstantin, kann mich nur anschließen: Ein großartiger Film ist Dir da gelungen. Sehr persönlich und wahnsinnig intelligent. Wirklich das Beste, was ich seit langem gesehen habe. Und das Interview mit Walter Jens - ein Knaller!! Chapeau.

Permalink

10
10/10

hallo,lieber konstantin,mit einer grossen interese habe ich den film angeschaut!!die dame,die das ganze auf dem papier erklärt hat -hat mir am besten gafallen!ich bin eine alleinerziehende mutter,komme aus der ukraine und lebe seit 20 jahren in deutschland!bin sei ca.1monat am born-out-syndrom betroffen!hätte sehr viel und,ich denke,interessantes zu berichten!ich glaube,es wäre sehr interessant für sie das thema,das Sie ansprechen von ,,nicht deutschen,,beschreiben bzw.erzälen zu bekommen!wenn sie interesse haben-melden sie sich!an sonsten-weiter so!finde ich klasse und glaube,dass sie damit vielen helfen können,zumiendest den homosapiens!!!gruss katharina bernhard

Permalink

Ne Herr Faigle, gell, das glaub ich einfach nicht, das Porsche Unterstellgeschäft ... oder? doch? Großartige Geschäftsidee jedenfalls (bin ich neidisch). Die Sendezeit kurz nach Mitternacht ist vollkommen angemessen. Leichtfertiger Optimismus könnte doch ohne Weiteres den Charakter oder ganze Weltanschauungen zum Wanken bringen, ... nicht wahr.
Dann brauchten wir auch keinen Kini mehr, ... alles umsonst?
Hoffentlich nicht, fürwahr!

Permalink

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Aufgabe prüft, ob du menschlich bist um Bots zu verhindern.