Man kann ja alle möglichen Sachen verlegen, die Autoschlüssel zum Beispiel, oder die Lesebrille. Wenn man dagegen ein berühmtes Gemälde im Wert von 25 Millionen Pfund verliert ist das ein ganz anderes Kaliber. Genau dies geschieht aber in „Trance“, als eine Gangsterbande rund um Boss Franck (Vincent Cassel) Goyas „Witches in the Air“ aus einem Auktionshaus stiehlt. Bei diesem Coup wird der Auktionator Simon (James McAvoy) am Kopf verletzt und kann sich nicht erinnern, was mit dem verschwundenen Gemälde passiert ist. Also wird er dank mittels eher unschöner Methoden dazu „überredet“, bei der Psychiaterin Elizabeth (Rosario Dawson) eine Hypnosethreapie zu machen, dank der er sein Gedächtnis und damit auch den fehlenden Goya wiederfinden soll. Je tiefer Elizabeth jedoch in Simons Unterbewusstsein wühlt, desto komplizierter wird die Situation für alle Involvierten...
Dass Danny Boyle zu den faszinierendsten Regisseuren gehört, die momentan aktiv sind, darf man sicherlich so festhalten. Dass er sich durchaus Fragen nach Stil, der Substanz aussticht anhören muss, allerdings auch. Schließlich gibt es kaum einen Regisseur der Gegenwart, der seinem Material so gern mit Farbfiltern, unterschiedlichem Film- und Videomaterial und pulsierender Musik einen audio-visuellen Extrakick gibt. Das hat dann vielleicht beim Oscargewinner „Slumdog Millionär“ unter dem Deckmantel des modernen Märchens über die doch sehr gefälllige Storystruktur großzügig hinwegsehen lassen und ihm in „127 Hours“ ermöglicht, eine Ein-Mann-allein-in-der-Einöde-Story aufzuhübschen. Manchmal geht der audiovisuelle Overkill allerdings auch ziemlich daneben wie im legendär misslungenen „The Beach“, oder das Drehbuch bricht ausgerechnet auf den letzten Metern bedenklich ein, wie in „28 Days Later“ oder „Sunshine“.
Warum dieser kleine Diskurs? Weil „Trance“ in dieser Hinsicht wieder Meinungen spalten wird – oder es zumindest sollte. Denn auch hier kämpfen Stil und Substanz – und Stil gewinnt. Man kann Boyle ja vorwerfen, dass seine Filme manchmal eine gewisse emotionale oder intellektuelle Leere mit ordentlich audiovisuellem Brimborium zu verstecken versuchen, aber verdammt, Boyles Filme sind einfach so unglaublich lebendig, dass man sich über die meiste Zeit willig (ver-)führen lässt, was auch bei „Trance“ der Fall ist.
Audiovisuell ist dieser Film definitiv ein Highlight; ein Film, der hervorsticht. Zusammen mit seinem Kameramann Anthony Dod Mantle filmt Boyle seine Lokalitäten, die hauptsächlich aus Simons und Francks Apartments sowie Francks Nachtclub bestehen, als Traum aus Glas, Stahl und Neonlichtern. Oftmals erreicht der Film dabei eine wunderbare visuelle Eleganz. Die Kamera ist oftmals verkantet (also schräg), um in bester Film Noir-Tradition zu zeigen, dass in dieser Welt die Dinge nicht so sind, wie sie scheinen, und bei kaum einem Film ist dies passender als bei „Trance“. Jedoch wäre Boyle nicht Boyle, wenn das schon alles wäre. Von der Videokamera am Hauseingang bis zur dem Charakter umgebundenen Steadycam nutzt er alle möglichen Perspektiven für sein Spiel mit Realität und Einbildung. Dazu kommt ein pulsierender Musikscore von Rick Smith, der das Ganze so richtig abrundet.
All dies gehört zur Kategorie „Stil“ und zu der kann man nur sagen: Wunderbar. Einen visuell aufregenderen Film muss man dieser Tage erstmal finden. Was ist aber nun mit der Substanz? Tja, hier wird es nun schwieriger. Denn „Trance“ ist natürlich – wir haben es oben schon angedeutet – ein Film, der von seinen Plottwists und seiner Ambivalenz zwischen Realität und Erinnerung (oder doch Einbildung?) lebt. Und so ist natürlich so gut wie nichts hier so, wie es auf den allerersten Blick scheint, Allianzen und Charaktermotivationen wechseln mehrmals und je mehr der Film und damit auch der Zuschauer sich der Wahrheit nähert, desto weniger scheint er zu wissen. Dieses Puzzlespiel macht eine Weile auch Spaß – hier liegt auch der Knackpunkt: Eine Weile. „Trance“ dagegen verliert irgendwann die Involvierung des Zuschauers und eventuell auch seine Geduld, denn gegen Ende wird Twist auf Twist serviert und ganz am Ende wird es dann vielleicht doch etwas zu wild.
„Trance“ fühlt sich ein wenig an wie ein Zaubertrick – faszinierend, während er abläuft, aber ein wenig ernüchternd, wenn alles vorbei ist. Dies ist so, weil „Trance“ am Ende des Tages ein Gimmickfilm ist. Und das Gimmick muss schon sehr sehr gut sein, um aus so einem Film dann einen brillanten Film zu machen, der neben der nötigen Cleverness auch emotionales Gewicht und zufriedenstellendes Storytelling sein Eigen nennt. Auch nach so vielen Jahren immer noch der Goldstandard: „Memento“. „Trance“ hat eine gewisse Cleverness – ohne Frage – aber Geschichte und Figuren stehen auf wackligeren Füßen. Da man hier keiner Figur trauen kann und eigentlich von vornherein weiß, dass hier nicht alle das sind (beziehungsweise das tun oder taten), was sie vorgeben, fällt es schwer, als Zuschauer so richtig emotional ins Geschehen involviert zu werden. Intellektuell ist das Puzzlespiel hier sicherlich nicht uninteressant, wenngleich vielleicht nicht ganz so clever, wie von den Autoren Joe Ahearne (Autor des zwölf Jahre alten TV-Films „Trance“ - jawohl, dies ist ein Remake seines eigenen Stoffes) und Boyles altem Wegbegleiter John Hodge gedacht. Aber es fehlt an Herz und Substanz. Und so richtig glaubwürdig sind einige Entwicklungen hier auch nicht unbedingt.
Fehlende Glaubwürdigkeit kann man der Darstellercrew allerdings nicht unterstellen, deren Spiel diesen Film auch entscheidend tragen muss, da er quasi aus nur drei Hauptrollen und drei Nebenrollen (die anderen Mitglieder von Francks Bande) besteht. Am Besten getroffen hat es zweifellos Rosario Dawson, der ja in den letzten Jahren keiner eine Rolle gegeben hat, die über eye candy with attitude hinaus ging. Man muss schon über zehn Jahre zurück gehen, zu „25 Stunden“, um Dawson in einer ähnlich wichtigen Rolle mit Tiefe zu finden. Kein Wunder, dass sich Dawson, die ja eh keine Angst vor Nacktszenen hat (siehe „Alexander“) für diese Rolle auch zu einer gewagten Nacktszene bereit erklärt hat, die der Großteil von Hollywoods Schauspielerinnen abgelehnt hätte. James McAvoy nutzt sein freundliches Milchgesicht, um dahinter Abgründe zu verbergen und Vincent Cassel in typischer Gangsterrolle erweist sich im Laufe des Films als verletzlicher als ursprünglich angenommen.
Was bleibt also? Wie immer bei Boyle eine Mischung aus genial und nicht-ganz-so-genial. Das ist ja auch das Besondere an Boyle. Er liefert nie wirkliche Meisterwerke ab, aber er macht immer interessante und herausfordernde Filme. Und so ein Film ist auch „Trance“ geworden. Ein Angriff auf Sehnerven, Ohren und graue Zellen, der trotz einiger Schwächen sicherlich zu den bemerkenswerteren Filmen des Kinosommers gehört. Weswegen wir wie immer bei Boyle vor Nebenwirkungen warnen, aber dennoch eine Empfehlung aussprechen. Denn sowas wie „Trance“ sieht man eben auch nicht alle Tage.
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