"Was ist so toll an der Wahrheit? Versuch' zur Abwechslung mal zu lügen - denn mit dieser Währung wird in der ganzen Welt bezahlt. -- Dan (Jude Law)
So ist es wohl, und die Lüge ist vielleicht sogar der Normalzustand im alltäglichen Beziehungsleben. Man lügt der Einfachheit halber, um Andere zu beeindrucken oder auch um sie nicht zu verletzen. Kaum vorstellbar eigentlich, dass man plötzlich damit anfängt sich untereinander schonungslos die Wahrheit zu sagen. So gesehen, ist "Hautnah" dann ein sehr unrealistischer Film. Denn was sich hier die Beteiligten gegenseitig ins Gesicht sagen, ist von solch unglaublicher Direktheit, wie man es nicht nur im "richtigen Leben", sondern auch im Film bisher selten gesehen hat. Es ist die Geschichte zweier Männer, die im modernen London zwei Frauen lieben - und umgekehrt. Wobei sie zu einem gewissen Zeitpunkt die gleiche Frau lieben, aber mit der anderen zusammen sind. Das "wer mit wem" wechselt mehrfach, dabei bleibt dann auch jedes Mal zumindest einer auf der Strecke und neue Narben werden verteilt. Soweit die "Handlung", eine weitere klassische Inhaltsangabe macht hier ansonsten wenig Sinn.
Stattdessen bekommen wir etwas Anderes, ganz Großartiges zu sehen: Ein perfekt arrangiertes Kammerspiel, bestehend aus mehreren kleinen Episoden von jeweils zehn bis fünfzehn Minuten Länge. In diesen Szenen brillieren dann meist zwei der vier Protagonisten, indem sie sich einige der brillantesten Dialoge an den Kopf werfen, die man je gehört hat.
"Wo ist diese Liebe?" Ich kann sie nicht sehen, ich kann sie nicht fühlen. Ich kann ein paar Worte hören, aber ich kann mit Deinem leeren Gerede nichts anfangen" -- Alice (Natalie Portman)
Es ist aber nun einmal die Sprache, dieses "leere Gerede", über die Menschen sich in erster Linie austauschen, und wer dazu in der Lage ist, diese als Waffe einzusetzen, der führt ein mächtiges Schwert. Der Waffenmeister heißt in diesem Fall Patrick Marber und schrieb vor einigen Jahren das Theaterstück "Closer", seinen bis heute größten Erfolg. Für die Leinwandadaption sorgt Marber mit seinem ersten Filmdrehbuch gleich selbst und damit ist gewährleistet, dass viel von der Wortgewalt seines Werkes erhalten bleibt.
Wenn dies schon eine kluge Entscheidung der Produzenten war, so ist die Wahl des passenden Regisseurs für die Verfilmung dann fast von einer zwingenden Logik. Denn Mike Nichols schrieb und inszenierte nicht nur selbst Theaterklassiker zum Thema Beziehungen wie "Barfuß im Park" oder "Ein seltsames Paar", sondern schuf auch gleich noch zwei der absoluten Klassiker des Kinos der sechziger Jahre. Und während "Die Reifeprüfung" dabei trotz aller Melancholie eine bemerkenswerte Warmherzigkeit ausstrahlte, bewegte sich Nichols mit dem Burton/Taylor-Ehedrama "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" schon vor fast vierzig Jahren nahe an den emotionalen Abgründen, die er jetzt wieder abbildet - und inszenierte damit auch den vielleicht einzigen Film, der in seinem brutal offenen Umgang der Charaktere untereinander "Hautnah" ähnelt.
Nein, ein "Dating"-Film ist dies nicht und auch sonst kein angenehmer. Manch ein von der Starpower angelockter Zuschauer wird vielleicht sogar vorzeitig das Kino verlassen, denn was wir hier über Beziehungen und Sex in erster Linie explizit zu HÖREN bekommen, ist schon recht unbehaglich. Es gibt keine Nacktszenen, und doch werden die Menschen hier bloßgestellt wie selten. Es gibt keinerlei körperliche Gewalt, und doch sind die Verletzungen tief. Wir haben nicht einen im klassischen Sinne sympathischen Charakter, und doch gelingt es, deren Handeln zumindest verständlich, nachvollziehbar werden zu lassen. Auf ein moralisches Urteil wird dabei verzichtet, es hätte auch nicht zum kühlen Realismus des Films gepasst. "Hautnah" zeigt nur, wieder erkennen müssen wir uns schon selbst.
"Du weißt nicht das Geringste über die Liebe, weil Du nicht verstehst, was es bedeutet, Kompromisse zu schließen". -- Larry (Clive Owen)
Von den vier Personen des Films erscheint Larry noch als der pragmatischste und realistischste. Als er erkennt, dass er auf dem besten Wege ist seine große Liebe an Dan zu verlieren, ergreift er die nötigen Maßnahmen. Von vier interessanten Charakteren verkörpert Clive Owen denjenigen, der sich am stärksten entwickelt. Eine Figur, die nicht nur der Zuschauer zuerst unterschätzt und die zunächst wie der eindeutige Loser des Wettbewerbs aussieht, dann jedoch beginnt die Anderen in einer Weise zu manipulieren, die Folgen haben wird. Eine Nominierung in Richtung "Beste Nebenrolle" darf da schon mal mit Bestimmtheit gefordert werden. Neben einem fast schon gewohnt guten Jude Law und einer ebenfalls gut, aber eher ungewohnt blass und zurückhaltend agierenden Julia Roberts ist dann Natalie Portmans Alice die zweite große Überraschung des Films. Nach einem frühen und fulminanten Debüt in "Leon - Der Profi" durch viele mittelmäßigen Rollen etwas aus dem Fokus geraten, bietet Portman mit der immens schwierigen Rolle der nach außen koketten und gleichzeitig so leicht verletzlichen Alice eine Karrierebestleistung.
"Hör' nicht auf, mich zu lieben. Wenn Du mich liebst, wirst Du mir vergeben". -- Anna (Julia Roberts)
Es kommt angesichts des bisher hier und vor allem angesichts des in diesem Film über Beziehungen Gesagten fast überraschend, dass "Hautnah" letztendlich nicht völlig hoffnungslos ist. Eher zeigt er uns einfach nur die Zwangsläufigkeit bestimmter Entwicklungen, die es zu akzeptieren gilt. Wer nun überlegen sollte, ob es denn nicht tatsächlich besser wäre, wenn man sich direkt alles sagt, anstatt den angenehmeren Weg hintenherum zu nehmen, dem macht das Schicksal der vier Suchenden hier allerdings die Wahl nicht leichter. Wer sich aber von solch schwermütigen Fragen sowieso grundsätzlich freimachen kann, der bekommt hier auf jeden Fall einen cineastischen Leckerbissen geboten: Nämlich einen intelligenten und provozierenden sowie einen hervorragend gespielten und inszenierten Film.
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