Tolle Marietta

MOH (58): 8. Oscars 1936 - "Tolle Marietta"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 4. Juni 2024

In unserer letzten Folge haben wir mit “Ein Butler in Amerika“ einen wahren Komödienschatz gehoben, ganz so ertragreich wird das heutige Ausbuddeln alter Filme nicht. Doch mit “Tolle Marietta“ erleben wir zumindest wieder eine durchaus unterhaltsame Geburt eines erfolgreichen Leinwandpaares.

Tolle Marietta

Originaltitel
Naughty Marietta
Land
Jahr
1935
Laufzeit
105 min
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
7
7/10

Hin und wieder gibt es diese alten Filme in unserer Oscar-Reihe, bei denen man dann doch deutlich spürt, wieviel Zeit inzwischen vergangen ist. Kaum vorstellbar, dass heutzutage die Verfilmung einer Operette zu einem großen Kinoerfolg werden würde. Geschmäcker ändern sich eben, wobei auch in den 1930ern dieses Genre jetzt nicht wirklich ein Garant für Kassenschlager war. Doch nach dem ein Jahr zuvor das Opern-Musical “Das leuchtende Ziel“ bereits erfolgreich die Kinokassen klingeln ließ, traute sich das Studio MGM 1935 mit “Tolle Marietta“ auch für den kleinen Genre-Bruder einen Platz auf der großen Leinwand freizuräumen.

Die Belohnung dafür war nicht nur die Oscar-Nominierung für den besten Film im Jahr 1936, der Gewinn in der Kategorie “Bester Ton“ und ein mehr als ordentliches Einspielergebnis. Die Sängerin Jeanette MacDonald (Sopran) und der amerikanische Opernsänger Nelson Eddy (Bariton) legten hier auch den Grundstein für ihre erfolgreiche Zusammenarbeit als eines der bekanntesten Leinwandpaare der kommenden Jahre. Ihr Charme und die Tatsache, dass der Film sich nicht ganz so ernst nimmt, sorgen glücklicherweise dafür, dass man am Ende die papierdünne Handlung und die ordentliche Portion Kitsch dieser Operette relativ gut verkraften kann.
 


Wie es bei vielen Prinzessinnen in Filmen so ist, freut sich natürlich auch Marie de Namours de la Bonfain (Jeanette MacDonald, “Liebesparade“, “Eine Stunde mit Dir“) so gar nicht darüber, im Frankreich des 18. Jahrhunderts zur Heirat mit dem eher langweiligen spanischen Edelmann Don Carlos (Walter Kingsford) gezwungen zu werden. Die genauso rebellische wie sangesfreudige Marie nimmt darum kurzerhand die Identität ihrer “einfachen“ Freundin Marietta an und flüchtet mit einem Schiff in die französische Kolonie Louisiana, um dort vielleicht endlich ihr großes Liebesglück zu entdecken. Ob sie das bei Richard (Nelson Eddy), dem dortigen Kommandanten eines Soldatentrupps, findet? Immerhin gibt dieser, wie Marie, ebenfalls immer wieder gerne ungefragt seine Sangeskünste zum Besten, wenn er nicht gerade Befehle für den etwas rückgratlosen Gouverneur (Frank Morgan) ausführt. Richtig warm werden unsere beiden zukünftigen Turteltäubchen zu Beginn allerdings nicht miteinander. Doch schon bald kann “Marietta“ jeden Alliierten dringend gebrauchen, schließlich hat ihr Onkel längst Wind von ihrer Flucht bekommen und setzt alles daran, die aufmüpfige junge Dame wieder nach Hause zu holen.

Zusätzlich zu immer wieder eingeschobenen kleinen Gesangseinlagen enthält “Tolle Marietta“  auch deutliche Elemente einer Screwball-Komödie. Wie von dieser gewohnt, stammt unser romantisches Paar aus unterschiedlichen Schichten und kann sich am Anfang nicht wirklich riechen. Die Genrehöhen eines “Es geschah in einer Nacht“ erreicht der Film aber bei weitem nicht und das hat so einige Gründe. Diese treten aber direkt zu Beginn noch nicht so richtig in Erscheinung, denn da kommt der Film eigentlich noch sehr vielversprechend daher. Hier verstösst unsere gute Prinzessin Marie nämlich gleich mal auf charmante Art und Weise gegen die offizielle Etikette ihres Hofes, in dem sie in einem ärmeren Viertel ein mehrstöckiges Wohnhaus voller Musiker besucht. Und dabei die Gelegenheit nutzt, um Reihum auf jedem Stockwerk mit den dortigen Bewohnern ein Liedchen zu trällern.
 


Diese Sequenz ist mit viel Leichtigkeit und Schwung inszeniert und hat nicht nur dank einer gut aufgelegten Hauptdarstellerin, sondern auch einem netten kleinen Running Gag rund um ein Hundewelpen, sehr viel Charme. Leider kann “Tolle Marietta“ diesen Schwung aber erst mal nicht wirklich weiter mitnehmen. Ausgerechnet wenn unsere Protagonistin mit ihrer Flucht auf einem Schiff Fahrt aufnimmt, verliert der Film selbige. Die Dialoge wirken nun irgendwie behäbig, genau wie die Inszenierung eines kurz mal eingestreuten Piratenangriffs, der Marie schließlich in die Arme ihres zukünftigen Liebhabers spült. Deren erstes Kennenlernen und gegenseitiges Verspotten versprüht zu Beginn leider nicht das Feuer, das diese Genrekonvention für einen ordentlichen Start entfachen sollte. Das liegt vor allem an Richard, dessen machohaftes Auftreten weniger Charme ausstrahlt und eher etwas unsympathisch aufgesetzt und bemüht wirkt. Ein klein wenig merkt man hier dann doch, dass Darsteller Nelson Eddy zu dem Zeitpunkt noch nicht sehr viel Filmerfahrung gesammelt hatte.

Ebenfalls problematisch ist die Tatsache, dass Richard in seinen Gesprächen vor allem durch seinen markanten Ami-Slang und eher vulgären Wortschatz auffällt, dann aber auf einmal hochtrabend anmutende Operettenlieder vom Stapel lässt. Das wirkt auf irritierende Weise inkonsistent und bringt den Film immer wieder zum emotionalen Stillstand – egal, ob man nun Fan dieses Musik-Genres ist oder nicht. Glücklicherweise legt Richard (und damit auch Nelson Eddy) nach einiger Zeit diese aufgesetzt wirkende Coolness etwas ab und schon beginnt das gegenseitige Necken zwischen ihm und der Prinzessin deutlich unterhaltsamer zu werden. Während die Dialoge in Sachen Cleverness immer noch keine Höhenflüge hinlegen, sorgen dazu immerhin ein paar kleine nette Einfälle, wie Maries witzig umgesetzter Auftritt in einem Puppentheater, für etwas Auflockerung.
 


Womit wir dann, neben der sich nun langsam immer besser entwickelnden Chemie zwischen unseren beiden Hauptfiguren, auch zur größten Stärke des Filmes kommen. “Tolle Marietta“ lebt in der zweiten Hälfte vor allem davon, dass man sich hier nicht allzu wichtig nimmt und offensichtlich einfach nur ein bisschen Spaß haben will. Das zeigt sich am Besten anhand der wundervollen Nebenfigur des Gouverneurs, der mit einem tollen Gespür für komödiantisches Timing von Frank Morgen gespielt wird, der wenige Jahre später in seiner Rolle als Zauberer von Oz Filmgeschichte schreiben sollte. Morgan ist großartig darin, seinen Gouverneur sich erst mit Inbrunst groß aufplustern zu lassen, nur um ihn dann beim kleinsten Zeichen von Gegenwind (meist durch das bestimmte Auftreten dessen eifersüchtiger Frau) sofort wieder rückgratlos einknicken zu lassen.

All das sorgt dafür, dass die Geschichte in der zweiten Hälfte, trotz einer ordentlichen Ladung Kitsch und den noch immer etwas erzwungen wirkenden Gesangseinlagen, ganz unterhaltsam dahinfliesst. Für das ganz große Kino reicht es aber nicht, da MacDonald und Eddy zwar zusammen mit der Zeit immer niedlicher werden, ihre Rollen aber einfach zu wenig interessante Reibungspunkte bieten. Es zeigt sich nämlich schnell, dass Marie und Richard eigentlich sehr ähnlich ticken und so gar nicht das Potential für wirklich feurige Wortgefechte bereitstellen.
 


Offensichtlich hat dies aber das damalige Publikum nicht davon abgehalten MacDonald und Eddy so ins Herz zu schließen, dass der Film ein erfolgreicher Startschuss für zahlreiche weitere gemeinsame Filme werden würde – darunter (so ist Hollywood) natürlich zahlreiche weitere Operetten. Zu einem dauerhaften Siegeszug dieser Musikgattung im Kino hat es zwar dann nicht gereicht, eine interessante Fussnote in der Filmgeschichte ist es aber allemal. Und selbst wer diesem Musik-Genre nicht viel abgewinnen kann, einen passablen Filmabend kann man mit Marietta auch so verbringen.

"Tolle Marietta" ist aktuell als DVD-Import auf Amazon in Deutschland verfügbar.


Trailer zu "Tolle Marietta"


Ausblick
In unserer nächsten Folge ist es mal wieder Zeit für ein Stück Weltliteratur. Wir begleiten Inspektor Javert bei seiner legendären Jagd des Sträflings Jean Valjean durch das Frankreich des 19. Jahrhunderts.


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