Unter Piratenflagge

MOH (62): 8. Oscars 1936 - "Unter Piratenflagge"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 2. Juli 2024

In unserer letzten Folge legten die Protagonisten von "Broadway-Melodie 1936" ja eine ziemlich flotte Sohle aufs Parkett. Solch ein Talent für außergewöhnliche Fußarbeit würde sicher auch Piratenkapitän Peter Blood bei dessen zahlreichen Fechtduellen helfen, wobei der Protagonist unseres heutigen Oscar-Kandidaten am Ende doch eher mit seinem Charme besticht.

Unter Piratenflagge

Originaltitel
Captain Blood
Land
Jahr
1935
Laufzeit
119 min
Genre
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
7
7/10

Ach, es geht doch nichts über einen ordentlichen Abenteuerfilm, um sich von den Sorgen des Alltags abzulenken. Das Bedürfnis danach hatten Kinobesucher bereits schon vor 100 Jahren und so feierte bereits in den 1920er Jahren Douglas Fairbanks in meist klassischen Mantel-und-Degen-Filmen, wie “Das Zeichen des Zorro“, “Robin Hood“, “Die drei Musketiere“ oder “Der Dieb von Bagdad“, große Publikumserfolge. Sein fortgeschrittenes Alter und eine Nebenkarriere als Kettenraucher erschwerten ihm aber schon bald die Produktion dieser physisch anspruchsvollen Filme und so entstand in diesem Genre in den 1930er Jahren eine große Lücke im von Hollywood etablierten Starsystem.

Vorhang auf für “Lückenfüller“ Errol Flynn, einem in Tasmanien geborenen und bis dato völlig unbekannten Nachwuchsschauspieler. Nach dem zahlreiche andere Kandidaten abgesagt hatten ergatterte dieser völlig unverhofft die Hauptrolle als schwertschwingender Captain Blood in “Unter Piratenflagge“ und legte damit den Grundstein für eine schillernde Hollywoodkarriere als Prototyp des verschmitzt grinsenden Abenteurers. Warum Flynn nach dem Film derart durchstartete ist angesichts dessen wirklich tollen Charismas dann auch sehr leicht nachvollziehbar, auch wenn das Piratenabenteuer selbst teilweise etwas ungelenk daherkommt.
 


Flynn spielt darin den irischen Arzt Peter Blood, dem Ende des 17. Jahrhunderts eine noble Tat zum Verhängnis wird. Als Strafe für die selbstlose Behandlung eines feindlichen Soldaten wird er mit weiteren Gefangenen vom heimischen König nach Jamaika gesandt, um dort als Sklave in der Hafenstadt Port Royal verkauft zu werden. Arabella (Olivia de Havilland), die Nichte des örtlichen Plantagenbesitzers Colonel Bishop (Lionel Atwill), verguckt sich ein wenig in den scheinbar schwer zu zähmenden Schönling und sichert sich darum seine Dienste. Blood selbst denkt aber erst mal nicht an die Liebe sondern nur an Flucht, die ihm mit Hilfe einiger Mitgefangener dann auch gelingt und ihn in Folge schnell zu einem berüchtigten Freibeuter der Meere aufsteigen lässt.

“Unter Piratenflagge“ entpuppte sich in den USA als veritabler Kassenhit und kam gleichzeitig auch bei der Kritik sehr gut an, was die insgesamt fünf Oscar-Nominierungen (“Bester Film“, “Beste Regie“, “Bestes Drehbuch“, “Bester Ton“ und “Beste Filmmusik“) unterstreichen – auch wenn der Film am Ende in keiner der Kategorien erfolgreich war. Das deutsche Publikum wiederum war erst einmal von dem Abenteuer ausgeschlossen, denn die jüdische Herkunft von Komponist Erich Wolfgang Kerngold sorgte dafür, dass der Film in Deutschland in der Nazizeit nicht gezeigt und erst 1950 veröffentlicht wurde.
 


Egal wann man sich den Film aber nun anschaut, wer sich auf zwei Stunden Piratenabenteuer freut dürfte wohl erst einmal etwas enttäuscht sein. Erst in der zweiten Hälfte wird hier nämlich so richtig in See gestochen. Interessanterweise ist aber gerade die erste Hälfte der gelungenere und deutlich abwechslungsreicher Teil des Filmes. Schritt für Schritt wird hier erst einmal der Hauptcharakter eingeführt und gerade dessen Leidenszeit und Fluchtplanungen auf Jamaika sehr viel Raum gegeben. Das funktioniert richtig gut, da vor allem Flynn die nötige Zeit bekommt, um mit seiner Figur so richtig Fahrt aufzunehmen. Zu Beginn wirkt sein Peter Blood noch etwas steif doch relativ schnell formt Flynn eine unglaublich charismatische Mischung aus leichtfüßigem Draufgänger und ernsthaftem Rebellen. Seine Figur kommt zwar immer mit einem gewissen Augenzwinkern daher, übertreibt es damit aber nicht und wirkt so angesichts der ja eigentlich ziemlich dramatischen Situation seiner Figur in Sachen Verhalten nie deplatziert.

Spätestens nach einer halben Stunde hat man Flynn ins Herz geschlossen, genauso wie seine wundervolle Kollegin Olivia de Havilland. Für die damals gerade einmal 19-jährige Schauspielerin brachte der Streifen ebenfalls den großen Durchbruch und nach “Unter Piratenflagge“ sollten gleich noch sieben weitere gemeinsame Auftritte des neuen Hollywood-Traumpaars Flynn-Havilland folgen. Die beiden sind schon in ihrer ersten Szene, der Ersteigerung von Peter durch Arabella, sofort auf einer wundervollen gemeinsamen Wellenlänge. Hier herrscht direkt eine Art Screwball-Komödien-Vibe, der das ja eher triste Schicksal von Blood angenehm auflockert ohne es dabei in die Lächerlichkeit zu ziehen.   
 


Zwei so junge Stars brachten für die Produktion natürlich auch einen Kostenvorteil. Das für eine eigentlich so episch anmutende Geschichte eher wenig Budget vorhanden war zeigt sich aber auch noch an anderen Stellen. So kommt man schon mit sehr wenigen Locations aus, gibt sich aber Mühe die Sets möglichst episch wirken zu lassen, in dem man vor allem mit jeder Menge Statisten für ein ständiges Gewusel vor der Kamera sorgt. Mit Michael Curtiz hat man einen zwar als sehr schwierig geltenden aber vor allem für seine Effizienz berüchtigten Regisseur an Bord, der unter den herausfordernden Umständen wirklich sehr viel rausholt. So schafft er es geschickt mit kleinen Kamerafahrten und gut gewählten Kameraeinstellungen das Geschehen immer wieder gekonnt emotional aufzuladen. Wobei Curtiz eigentliches Regie-Kronjuwel natürlich erst ein paar Jahre später mit “Casablanca“ folgen sollte.

Ein klein wenig altbacken kommt der Film dann aber hier und da trotzdem daher. Auf die  Texteinblendungen hätte man gerne verzichten können, manche Momente fallen schon sehr kitschig aus und immer wenn große Reden geschwungen werden (was hier sehr oft passiert) funktionieren diese eigentlich nur dank dem Charme des Hauptdarstellers und nicht aufgrund der Cleverness der Textzeilen. Shakespeare ist das hier beileibe nicht, aber die Oberflächlichkeit des Geschehens ist in der ersten Hälfte dank der abwechslungsreichen Handlung sehr gut zu verkraften. Leider bietet die zweite Hälfte trotz Piratenabenteuer und großer Kämpfe aber dann deutlich weniger Spannung und Entertainment. Das liegt nicht nur daran, dass für einen längeren Zeitraum auf einmal die wundervolle Olivia de Havilland von der Bildfläche verschwindet. Havilland macht leider auch Platz für ein paar eher weniger gelungene Nebenfiguren und einige müde Lacher.
 


So richtig aufregend ist das Leben auf einem Piratenschiff halt dann auf Dauer eben auch nicht. Das scheint man sich hier ebenfalls gedacht zu haben und versucht dem mit dem plötzlichen Auftauchen von Basil “Sherlock Holmes“ Rathbone als konkurrierendem Piratenkapitän entgegenzusteuern. Doch leider wirkt diese sehr abrupt eingeschobene kleine Nebengeschichte doch mehr erzwungen als unterhaltsam. Und gerade das große Fechtduell zwischen unseren beiden Kapitänen ist nicht nur irgendwie komisch in der Mitte des Filmes platziert, es ist auch noch ziemlich hölzern umgesetzt. Ein klein wenig hat es was von einer ungelenken Theateraufführung der örtlichen Schulklasse und wirkt so gerade für das heutige Publikum schon fast ein bisschen lächerlich. Ebenfalls etwas inkonsequent umgesetzt ist eine kurze Krise innerhalb der Piratencrew, die zwar spannendes Potential bietet aber schnell wieder geklärt ist – man will ja eigentlich nur etwas Spaß haben.

Und das ist ja auch eigentlich völlig okay. Doch wenn im letzten Drittel des Filmes dann vor allem Schiffe geentert und versenkt werden, ist das (zumindest aus heutiger Sicht) leider nur bedingt packend umgesetzt. Zu oft sieht man halt schon sehr deutlich, dass hier ein Haufen Miniaturschiffe in die Luft fliegen. Womit das letzte Drittel von “Unter Piratenflagge“ heutzutage den kleinen Hauch eines B-Movies versprüht, was nicht gerade dadurch abgemildert wird, dass man für manche der Schiffsszenen sich damals einfach bei dem 1924 gedrehten “The Sea Hawk“ bediente. Es ist dann aber auch wieder Michael Curtiz cleverer Regie zu verdanken, dass man diesen “Materialdiebstahl“ nur hier und da mal erahnt.
 


Nett anzuschauen ist aber das Schlussdrittel trotzdem noch irgendwie, auch weil Flynn einfach so unglaublich charismatisch ist und man den Film am Ende auch mit einem sympathischen Augenzwinkern beendet. Noch mehr gute Laune hatten danach auf jeden Fall einige der am Film Beteiligten, für die der Erfolg des Abenteuerfilms nun zum Sprungbrett für eine wirklich große Karriere wurde. Einen Großteil der Truppe werden wir übrigens in unserer Oscar-Reihe schon bald im Farbfilmklassiker “Robin Hood – König der Vagabunden“ wiedersehen. Dort darf Errol Flynn dann unter der Regie von Michael Curtiz wieder heldenhaft Olivia de Havilland aus den Fängen von Basil Rathbone befreien. So ist das eben mit Hollywood, bewährte Formeln und maximale Risikominimierung werden dort immer en vogue sein.

"Unter Piratenflagge" ist aktuell als DVD auf Amazon in Deutschland verfügbar.

 


Trailer zu "Unter Piratenflagge"


Ausblick
In unserer nächsten Folge gibt es ein Wiedersehen mit Olivia Havailland. Diesmal klappt das mit Dialogen in Shakespeare-Qualität aber deutlich besser, was schlichtweg daran liegt, dass genauer dieser die Vorlage für das Drehbuch lieferte.

Bilder: Copyright

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