Es gibt viele Anti-Drogen-Kampagnen, die in der Öffentlichkeit schon einiges Aufsehen erregt haben. Sinn und Zweck ist es vor allem, Jugendliche von den illegalen Substanzen fernzuhalten. Dass die moderne Medizin inzwischen mit "Medikamenten" hantiert, die sich oft nur um wenige Moleküle von Kokain oder Heroin unterscheiden, findet bisher weniger Beachtung. Allzu oft werden alternative Behandlungsmethoden gar nicht beachtet oder wissentlich übersehen. "Thumbsucker" behandelt dieses Thema nicht im Stil eines schwerverdaulichen Dramas, sondern einer leichten Coming-of-Age-Komödie.
Jason Cobb (Lou Taylor Pucci) ist 17 und plagt sich mit den üblichen Problemen eines Teenagers herum. Niederlagen und Rückschläge kompensiert er, indem er sich auf der Schultoilette oder in seinem Zimmer versteckt und an seinem Daumen lutscht. Das bringt seinen Vater Mike (Vincent D'Onofrio) oft zur Verzweiflung, denn der findet das ganz und gar nicht männlich. Jasons Mutter Audrey (Tilda Swinton) lebt in ihrer eigenen Welt, in der sie den TV-Serien-Star Matt Schramm (Benjamin Bratt) anhimmelt. Als Jason im Unterricht immer häufiger abwesend erscheint, rät die Direktorin seinen Eltern zu Psychopharmaka. Doch unter dem Einfluss der Drogen wird aus dem Mauerblümchen Jason plötzlich der eloquente Chef des Debattierclubs.
Der Film ist ein wirklich zweischneidiges Schwert. Denn er kommt als wirklich nette und durchaus lustige Komödie daher, vermittelt aber auf der anderen Seite eine äußerst eigenartige Botschaft. Dabei versammelt Regisseur und Autor Mike Mills ein wirklich sehr gutes Schauspielensemble um sich. Lou Taylor Pucci muss man sicherlich gesondert hervorheben. Der junge Darsteller gibt hier sein Debüt, und das macht er zwar nicht grandios, aber immerhin so gut, dass er auf der Berlinale 2005 dafür den Darstellerpreis erhielt. Allerdings verblasst auch Pucci neben der grauen Eminenz des Arthouse-Kinos, Tilda Swinton. Sie verkörpert ihre Rolle einer von der Familie missverstandenen Mutter, die ihre ganze mütterliche Wärme einem TV-Serienhelden zukommen lässt, einfach nur herausragend. Außerdem hat Hollywoodstar Keanu Reeves einen kleinen aber feinen Gastauftritt als esoterisch angehauchter Zahnarzt.
"Thumbsucker" ist, wie es sich für einen anständigen
US-Independent-Film gehört, mit einem wunderschönen Soundtrack
(unter anderem mit The Polyphonic Spree und Big Star) ausgestattet,
der vielleicht ein wenig zu oft eingesetzt wird und deshalb einige
Szenen zu sehr dominiert. Dem Humor
tut das allerdings kein Abbruch: Wenn Jason sich von einem Debattierpokal
zum nächsten redet, offenbart der Film einige sehr lustige
und humorvolle Stellen. Hier fängt der Film aber auch an, leicht
problematisch zu werden. Jason bekommt mit Hilfe der Drogen seine
bis dahin verlorene Jugend zurück. Mit seinem neuen Selbstvertrauen
macht er sich auch sehr schnell neue Freunde. Er wird mutiger Mädchen
gegenüber. Und das alles mit Hilfe der kleinen Pillen.
Ist das in Ordnung? Soll hier wirklich gepredigt werden, dass unter
dem Einfluss von Psychopharmaka das Leben besser wird? Ist das denn
nicht, wie es so schön heißt, moralisch fragwürdig?
Zum Glück erkennt Jason das irgendwann auch, setzt die Pillen
ab und steigt aufs Kiffen um. Ganz sicher ist das hier Ironie, doch
nichtsdestotrotz bleibt es eine Gratwanderung, die das Drehbuch
nicht immer ganz gewissenhaft erklären kann. Das ist eine Schwäche,
über die man bei allem Charme, den der Film versprüht,
nicht bedenkenlos hinweg sehen kann.
"Thumbsucker" ist ein sehr liebevoller und ironischer Film mit dem Mut zu einer latent amoralischen Botschaft: Auch Kiffer können mit schlechten Noten manchmal im Leben eine Chance haben, während gute Schüler den Leistungsdruck und mögliche Niederlagen oftmals nur mit Hilfen von kleinen medizinischen Freunden aushalten. Ein intelligenter, eigenwilliger Abgesang auf die Leistungsgesellschaft.
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