Michael
Moore ist neben seinem Gegenspieler George Walker Bush eine der
dominanten Figuren der letzten zweieinhalb Jahre. Unermüdlich
bestritt der selbsternannte Mann des Volkes seinen Angriffsfeldzug
gegen die wohl arroganteste und am dreistesten lügende US-Regierung
der Geschichte. Neben viel Verehrung seiner Fans gab es natürlich
auch Schelte noch und nöcher. Dabei muss man nicht mal so weit
gehen wie Waffennarr, Rechtsausleger und Kommunistenhasser John
Milius (seinerseits bekannt für, ähem, intelligentes Politkino
wie "Red Dawn"), der Moore ein Arschloch nannte und eine
standrechtliche Erschießung forderte (was die Gefühle
des Konservativen bzw. rechten Lagers in den USA recht treffend
umreißt). Denn bei soviel Medienpräsenz von Moore stellte
sich schon bald die Frage: "Darf man Michael Moore überhaupt
noch gut finden?". Da wird ihm nun vorgeworfen, dass er mit
seinen Filmen und Büchern Geld verdient. Im Musikgeschäft
würde man maulen, er sei nicht mehr ‚indie' genug. Von
Populismusvorwürfen mal ganz zu schweigen. Wo aber Kritiker
ihm Kommerzialität (zu Unrecht, denn Moores genereller Arbeitsstil
hat sich nicht geändert, nur finden seine Filme und Bücher
jetzt mehr breite Beachtung) und Selbstprofilierung (zu Recht, aber
das ist Teil der Kampagne) vorhalten, wird die eigentliche Wichtigkeit
des übergewichtigen Baseballkappenträgers gerne vergessen:
Michael Moore ist vor allem deswegen nötig, weil er der so
gut wie gelähmten politischen Linken in den USA eine Stimme
gibt. Deren subtilere oder meinetwegen auch intelligentere Vertreter
haben sich weitestgehend resigniert in ihr Schneckenhäuschen
verzogen, während Moore richtig Alarm macht. Auch deswegen
bleibt er die einzige wirklich laut zu vernehmende Stimme und deswegen
ist er so wichtig. Er mag in gewissem Sinne ein notwendiges Übel
sein, dabei liegt die Betonung aber nicht auf Übel, sondern
eindeutig auf notwendig. Abgesehen von seinem persönlichen Kommentar, der von sauwütend bis sarkastisch reicht, lässt Moore in seinem Anti-Bush-Agitprop-Film "Fahrenheit 9/11" vor allem Bilder sprechen. Bilder, wie sie Fernsehkameras aufzeichnen, bevor sie auf Sendung gehen. Und die zeigen nun einmal besser als jeder Kommentar, was für Herren sich da anmaßen, über Krieg und Frieden zu bestimmen. Unglaublich und eklig, wie Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz seinen Kamm mit Spucke präpariert und schließlich die widerspenstigen Haare mit ein bisschen Rotze in der Hand zu bändigen versucht. Gespenstisch und grotesk, wie Bush wie ein Schmierenkomödiant Sekunden vor der Liveschaltung, in der er den Beginn des Irak-Krieges verkündete, eine ganze Reihe Grimassen und Gesichtsausdrücke ausprobiert. Schlüsselszene aber ist der Mitschnitt von Bushs Reaktion auf die Nachricht, die Twin Towers seien von Flugzeugen getroffen worden. Da saß er am Morgen des 11. September 2001 bei einem medienwirksamen Besuch einer texanischen Grundschulklasse und ließ sich vorlesen, als ihm ein Berater ins Ohr flüsterte: "The nation is under attack". Schock ist verständlich. Auch Momente der Hilflosigkeit, der Fassungslosigkeit. Das sei ihm wie jedem anderen Menschen zugestanden. Dass sich der vorgeblich mächtigste Mann der Welt aber geschlagene sieben Minuten an einem Kinderbuch festhält und darauf wartet, dass ihm irgendwer zur Hilfe kommt, das wirft doch ein treffendes Licht auf Bush junior. Eine - so wird in vielen Momenten dieses Films klar - inartikulierte Marionette ohne eigenes Rückgrat und mit den falschen Freunden, das und nichts weiteres ist der Mann aus Texas. Wie im Vorgänger "Bowling
for Columbine" liefert Moore auch hier ein paar äußerst
explosive Thesen, und ähnlich wie dort geht es um Angst als
Machtinstrument. Indem die amerikanische Regierung ihrem Volk konstante
Gefahr vorgaukelt, die es dringend zu bekämpfen gilt, lenken
sie von der schon lange im Hinterkopf gehaltenen Beschneidung der
Bürgerrechte und den faktisch falschen Kriegsgründen ab.
Allerdings muss man jenseits der hehren Ziele konstatieren, dass
"Fahrenheit 9/11" filmisch nur größtenteils
gelungen ist. Ob Moores patentierte Präsentationsform erste
Ermüdungserscheinungen zeigt oder die Menschen im Schnittraum
keinen richtig guten Tag hatten: Tatsache ist, dass es Moore nicht
gelingt, seinem Film einen richtigen Fluss zu geben, so dass es
bei der episodischen Form durchaus den einen oder anderen dramaturgischen
Hänger gibt. So ist etwa die Episode um den einsamen Strandwächter
Oregons witzig und interessant, aber schlecht eingebunden. Der Film hat auch Schwierigkeiten, einen einheitlichen Ton zu halten,
wenngleich dies im Ernstfall sogar mehr Stärke als Schwäche
ist, denn wer zwei Stunden Bush-Bashing in Reinkultur erwartet,
der wird - je nach Disposition - enttäuscht oder positiv überrascht.
Klar, im Endeffekt führt Moore alles auf seinen Erzfeind zurück,
verzichtet aber auf allzu Plumpes und einen Exklusivfokus auf den
oft hilflos
wirkenden Möchtegern-Cowboy. Denn nachdem Moore Bush gerade
in der ersten halben Stunde gehörig welche mitgibt, wird spätestens
mit dem Erreichen des Irakkrieges der Blick von den Verantwortlichen
in oberster Position auf die Opfer gelenkt. Die Opfer auf beiden
Seiten, wohlgemerkt. Denn - und hier zeigt sich, dass Moore in der
Tat ein Patriot ist - es geht ihm gerade um die vielen Amerikaner,
die in einem sinnlosen, unnötigen Krieg Leben, Gesundheit und
Vertrauen verlieren. Insgesamt ist "Fahrenheit 9/11" trotz hemmungslos subjektiver
Sichtweise ein erstaunlich ausgeglichener Film, der nicht nur stumpf
auf Bush einkloppt, sondern viele Themen und Standpunkte streift.
Beizeiten wird es gar ein bisschen viel, was das manchmal etwas
rastlose Hin-und-Herspringen erklärt. Für einige Sachen
wäre trotzdem noch Raum gewesen. Die wahre Achse des Bösen,
die Kriegstreiber hinter Bush (Cheney, Wolfowitz, Rumsfeld), hätte
man vielleicht noch etwas mehr beleuchten können. |
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