Manche Leute lassen zwischen ihren Filmen entschieden zuviel Zeit vergehen, und Sebastian Schipper ist definitiv einer von ihnen. Nach einem Karrierebeginn als Schauspieler schrieb und inszenierte Schipper 1998 den abgrundtief genialen "Absolute Giganten", einen der ganz wenigen echten deutschen Kultfilme (vor allem für Hamburger) - und ließ im Anschluss fast ein ganzes Jahrzehnt mit einem Nachfolger für sein fulminantes Debüt auf sich warten. Nun ist es endlich soweit, und alle ängstlichen Zweifler seien sogleich beruhigt: Trotz acht Jahren Pause hat Schipper nichts von seinem Talent eingebüßt, und "Ein Freund von mir" ist definitiv eine der herausragenden Kino-Sternstunden 2006.
Im Mittelpunkt steht Karl (Daniel Brühl), ein junger Mathematiker, der viel auf dem Kasten hat, aber nicht aus sich raus kommt. Zu Beginn des Films hat Karl gerade einen Versicherungs-Branchenpreis gewonnen, doch erhält von seinem Chef (der ihn gezielt provozieren will) trotzdem einen Deppen-"Undercover"-Job: Ein Autovermieter am Flughafen möchte Kunde der Versicherung werden, und Karl soll sich dort für einen Tag als Fahrer und Autowascher einschleichen, um die Arbeitsabläufe zu analysieren. So lernt Karl seinen neuen Kollegen Hans (Jürgen Vogel) kennen, sein absolutes Gegenteil: Hans ist eine dauerfröhliche Labertasche, ständig aufgekratzt und jederzeit für eine durchgeknallte Idee gut. Bevor Karl so recht versteht, was passiert, hat Hans ihn schon unter seine Fittiche genommen, stellt ihm seine zauberhafte Freundin Stelle (Sabine Timoteo) vor und bringt ihm solch einfache Lebensfreuden wie Nackt-Porschefahren näher.
Es ist keine große Geschichte, die Schipper hier erzählt,
aber wie er das tut, das ist absolut großartig. Karl wird
durch Hans quasi in eine Freundschaft hinein gesogen, die er zunächst
als unglaubliche
Befreiung seines steifen und leeren Alltags genießt, sich
aber doch nicht voll darauf einlassen kann, weil die Freundschaft
auf einer Lüge basiert (Karl verheimlicht Hans, dass er eigentlich
für die Versicherung arbeitet). Im Zusammenspiel ist das in
vielen Momenten und gerade zu Anfang ungemein komisch, da mit Karl
und Hans zwei gänzlich gegensätzliche Typen aneinander
geraten, und Hans es sichtlich Spaß macht, den introvertierten
Karl mit seinen verrückten Aktionen und seiner pausenlosen
Belaberei zu einer Reaktion zu provozieren. Hans ist ein Typ, mit
dem es niemals langweilig wird, und so ergeht es auch dem Zuschauer:
An Karls Seite wird man von Hans in die Geschichte hineingezogen,
kann sich nie sicher sein, was als nächstes passiert, wird
immer wieder überrascht und darf erstaunlich gefühlsecht
Karls emotionale Befreiung miterleben.
Hier erweist sich Sebastian Schipper erneut als Meister der Atmosphäre
und Schöpfer herausragender Bilder. Begeisterte er sein Publikum
in "Absolute Giganten" noch mit dem besten (einzigsten?)
Kicker-Spiel der Filmgeschichte, ist es hier eine nächtliche
Tour mit zwei Porsches über bundesdeutsche Autobahnen, die
zum visuellen wie atmosphärischen Höhepunkt gerät.
Wie Schipper auf dieser Tour Karls verschlossenen Panzer öffnet
und ihn sich in einen Freiheitsrausch hineinsteigern lässt,
dessen emotionale Wucht und Reinheit einen sogar im Kinosessel derart
mitreißt, dass man die Freiheit an der Nasenspitze kitzeln
spürt, das ist ganz großes Kino.
Das
wäre natürlich auch nur halb so gut ohne leistungsstarke
Darsteller, und das erste Zusammenspiel von Daniel Brühl und
Jürgen Vogel erweist sich dabei als der erhoffte Glücksfall.
Beiden sind ihre Rollen fabulös auf den Leib geschrieben: Der
schüchterne, aber clevere Karl ist ein toller Part für
Brühls nuanciertes, introvertiertes Spiel, während die
schräge, redselige Lebensfreude von Hans für Jürgen
Vogel nicht nur eine willkommene Befreiung darstellte (der Film
entstand direkt im Anschluss an Vogels tour de force "Der
freie Wille"), sondern ihm auch erstmals Gelegenheit gibt,
sein komisches Talent voll auszuspielen. Sabine Timoteo schließlich
(die mit Vogel schon in "Der freie Wille" agierte) bildet
als Stelle den magischen ruhenden Pol zwischen den beiden, und unter
Schippers Regie gelingt ihr in wenigen Szenen die höchst seltene
Leistung, eine Frau zum Leben zu erwecken, in die man sich tatsächlich
sofort verlieben kann.
Dank dieser drei herausragend agierenden Hauptdarsteller gelangt
die kleine Geschichte von "Ein Freund von mir" dann auch
zu ihrer wahren filmischen Größe. Bestes Beispiel: Eine
späte Szene, in der Karl und Stelle feststellen, dass sie beide
Spanisch sprechen, und Hans sie auffordert, sich auf Spanisch zu
streiten, weil er das gerne hören will. Was folgt, ist ein
trotz nur kleiner Gesten und schauspielerischer Nuancen unwahrscheinlich
beeindruckendes Gespräch, vor tiefer liegenden Emotionen geradezu
vibrierend; ein wahres Wunder
von einer Szene, für die allein Brühl und Timoteo jeden
Darstellerpreis dieses Jahres verdient hätten. Sebastian Schipper
vermeidet hier wie auch beim Rest des Films nahe liegende und allzu
einfache Lösungen, so dass man bis zur wunderschönen Schlusseinstellung
gespannt bleibt, welches Ende diese Geschichte nun schließlich
finden wird.
Mit einem gewitzten, sprachgewandten und intelligenten Drehbuch, famosen Darstellern und einem großartigen Gefühl für die Psyche und das Zusammenspiel seiner Figuren gelingt es Schipper, mit "Ein Freund von mir" erneut einen Film abzuliefern, der ganz nah und ganz echt die merkwürdige, einzigartige Chemie von Männerfreundschaften einzufangen weiß. Ohne Schnörkel und Schlenker liefert Schipper handwerklich perfekte, erzählerisch brillante und stimmungsvoll tief berührende 84 Filmminuten ab, an denen es nur eins auszusetzen gibt - sie sind leider viel zu schnell vorbei. Vor allem, wenn man Angst haben muss, auf den nächsten Geniestreich wieder acht Jahre warten zu müssen.
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