Alice Adams

MOH (53): 8. Oscars 1936 - "Alice Adams"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 30. April 2024

Die achten Academy Awards wurden am 5. März 1936 vergeben und hatten wieder einmal ein paar Besonderheiten zu bieten. So entschied man sich dazu eine weitere neue Kategorie einzuführen, die allerdings nur kurz Bestand haben sollte. Erst 1933 hatte man ja bereits einen Preis für die “Beste Regieassistenz“ eingeführt, der nach fünf Jahren schon wieder eingestampft wurde. Nun folgte die Einführung einer noch kurzlebigeren Kategorie, nämlich “Beste Tanzregie“. Die kam von 1936 bis 1938 insgesamt nur dreimal zum Einsatz. Warum sie wieder abgeschafft wurde ist nicht endgültig geklärt, vermutlich dürfte aber der Gegenwind des einflussreichen Verbands der Filmregisseure entscheidend gewesen sein, die ihr Berufsbild bei der Verleihung nicht “verwässert“ sehen wollten.

Für noch größeren Trubel in Hollywood sorgte aber eine gerade erst kürzlich eingeführte Neuerung, die ironischerweise genau deswegen etabliert worden war, um eigentlich Aufregung zu vermeiden.

Hintergrund: Write-ins – Die Stimme des Volkes

Mit den sogenannten Write-ins kommen wir heute zu einem zwar kurzen aber unterhaltsamen Kapitel der Oscar-Geschichte, das irgendwie ziemlich typisch für Hollywood ist. Auslöser war die Oscar-Verleihung im Jahr zuvor (1935), bei der ein Aufschrei durch die Film-Community gegangen war. Man war damals nämlich sauer, dass man nicht für die famose Leistung von Bette Davis in dem Drama “Of Human Bondage“ abstimmen konnte, da diese von der Academy gar nicht auf die Liste der Nominierten gesetzt worden war. Kritiker schrieben bissige Kolumnen, Fans wütende Briefe und schließlich wurde es der Academy zu viel und sie gab nach. Anstatt aber die Liste anzupassen erlaubte man den abstimmungsberechtigten Mitgliedern sogenannte Write-ins, also die Möglichkeit, bei der Abstimmung auch für nicht gelistete Kandidaten zu stimmen, in dem man sie einfach mit auf den Stimmzettel schrieb.

Der Sieg in der Kategorie “Beste Schauspielerin“ ging in diesem Jahr trotz dieser Möglichkeit aber an Claudette Colbert für ihre Leistung in “Es geschah in einer Nacht“. Bette Davis gelang allerdings nur aufgrund eben dieser Write-ins ein durchaus respektabler dritter Platz. Um einen weiteren Skandal dieser Sorte zu vermeiden sorgte die Academy natürlich dafür, dass sich Davis im Jahr 1936 ganz regulär auf dem Stimmzettel wiederfand – diesmal für ihre Performance im von Kritikern nicht wirklich geliebten “Dangerous“. Diesmal gelang Davis der Sieg, doch sie empfand den Preis stets als unverdient und lediglich als Wiedergutmachung für das Jahr zuvor.  
 

Bette Davis in "Of Human Bondage"

Nun waren aber auch von Seiten der Academy im Jahre 1936 Write-ins wieder offiziell erlaubt – man wollte ja nicht wieder irgendeinen Skandal auslösen. Tat man aber trotzdem, in dem man einfach die Kreativität und vor allem Gier der Filmbranche unterschätzte. Das Studio Warner Brothers sah hier nämlich eine Lücke im System und seinen Sportsgeist geweckt. Warum nicht einfach in allen Kategorien, in denen man nicht mit Filmen vertreten war, ordentlich die Werbetrommel für Write-ins der eigenen Kandidaten rühren? Und so folgte tatsächlich eine massive Write-ins-Werbekampagne des Studios, die für einige unvorhergesehen knappe Duelle bei der Preisverleihung sorgte und in einer Kategorie sogar zum Erfolg führte. Der eigentlich gar nicht nominierte Kameramann Hal Mohr gewann für seine Arbeit in “Ein Sommernachtstraum“ nur dank der Hilfe der Write-ins den Oscar für die beste Kameraarbeit.

Ein Sieg, der natürlich die Academy und die ganze Branche in Aufruhr versetzte. Schließlich drohte in Zukunft ein reiner Werbekrieg und so wurden die Write-ins direkt nach der Verleihung wieder abgeschafft. Noch heute aber gibt es von verschiedenen Seiten immer wieder Versuche diese Mittel immer dann ins Spiel zu bringen, wenn die Academy mal wieder bei ihrer Nominierungsliste eine scheinbare Ungerechtigkeit begangen hat. So versuchte die Zeitschrift Hollywood Reporter 2013 die Mitglieder der Academy dazu anzuhalten, doch mit Write-ins ihrem Ärger über den für seine Leistung als Regisseur von “Argo“ ignorierten Ben Affleck Luft zu machen. Bis heute ist die Academy allerdings standhaft bei ihrer Haltung geblieben und so ist der Sieg von Hal Mohr aus dem Jahre 1936 noch heute das einzige Beispiel für ein erfolgreiches Write-in.

Ganz offiziell standen aber auf jeden Fall alle von mir nun in den nächsten Wochen zu besprechenden Oscar-Kandidaten auf der Nominierungsliste. Nominiert bei der Verleihung im Jahr 1936 für den besten Film waren "Alice Adams", “Die Elenden“, “Bengali“. “Unter Piratenflagge“, “Der Verräter“, “David Copperfield“, “Ich tanz' mich in dein Herz hinein“, “Ein Butler in Amerika“, “Ein Sommernachtstraum“, “Tolle Marietta“, “Broadway-Melodie 1936“  und der spätere Gewinner "Meuterei auf der Bounty". Wir starten heute mit dem Drama "Alice Adams" und einer Leinwandlegende in der weiblichen Hauptrolle.

Alice Adams

Land
Jahr
1935
Laufzeit
99 min
Genre
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
5
5/10

Angesichts des fulminanten Auftritts von Katharine Hepburn in “Vier Schwestern“, der bisher besten Schauspielleistung in unserer Oscar-Reihe, war die Vorfreude bei mir auf “Alice Adams“ ziemlich groß. Und tatsächlich ist Hepburns Rolle in dem romantischen Drama auch hier wieder spielentscheidend, nur leider nicht im positiven Sinne. Wobei man Hepburn nur zu Teilen einen Vorwurf dafür machen kann, dass ihre Figur in dieser Geschichte mehr irritiert als begeistert.

Das Grundszenario von “Alice Adams“ klingt auf den ersten Blick nach einer klassischen romantischen Komödie. Die in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsene Alice (Katharine Hepburn) träumt davon im Leben eine Stufe aufzusteigen – am Besten durch das Kennenlernen eines vermögenden Mannes. Mit Hilfe ihres Bruders (Frank Albertson) gelangt Alice zwar auf die ein oder andere High-Society-Party, wird von den dort anwesenden Reichen und Schönen aber trotz ihrer Versuche sich als eine der ihrigen auszugeben nicht wirklich für voll genommen. Im deutlich weniger glamourösen Alltag daheim hängt dazu noch der Familiensegen schief, ist ihre Mutter (Ann Shoemaker) doch angesichts der Antriebs- und Arbeitslosigkeit ihres Ehemannes (Fred Stone) ziemlich angesäuert. Als Alice dann aber auf einer der Parties den attraktiven und vermögenden Arthur Russell (Fred MacMurray, "Double Indemnity") kennenlernt, scheint ihr Leben endlich in die richtigen Bahnen zu kommen. Aber natürlich darf Arthur erst mal nicht erfahren, dass Alice in Sachen Eigenmarketing vielleicht etwas arg übertrieben hat.
 


Der Klassenunterschied zwischen unseren beiden Turteltauben würde in einer typischen romantischen Komödie ja erst einmal für jede Menge Humor sorgen und am Schluss der Liebe natürlich nicht im Wege stehen. Von einer Komödie sind wir hier aber ein gutes Stück entfernt,  hängt angesichts der angespannten Atmosphäre daheim und der schon ziemlich verzweifelten Suche von Alice nach einem wohlhabenden Mann über allem schon ein deutlicher Schleier der Hoffnungslosigkeit. “Alice Adams“ hat zwar ein paar komödiantische Momente, ist aber über weite Strecken eher ein Drama über die Sorgen und Träume der Unterschicht. Auch dafür braucht es natürlich funktionierende Figuren und eine glaubwürdige Chemie zwischen unserem zentralen Leinwandpaar und genau da hapert es hier doch gewaltig.

Im Zusammenspiel mit ihrer Familie, insbesondere mit ihrem Vater, läuft Hepburn dabei als Alice durchaus zur Höchstform auf. Ihre Energie, der Mix aus Wärme und schnippischen Wortwechseln oder die clevere Art und Weise, wie Hepburn alleine durch Mimik und Gestik einen Raum mit ihrer Präsenz füllt – das ist einfach schön anzuschauen. Nur leider sind diese Momente sehr spärlich gesät, konzentriert man sich schließlich mehr darauf, das Anbiedern von Alice bei der feinen Gesellschaft zu zeigen. Und hier hat man es auf einmal mit einer komplett anderen Figur zu tun, da Alice sich dafür komplett verstellt, um ja möglichst kultiviert und hochtrabend rüberzukommen.
 


Diese Maske setzt Hepburn, durchaus bewusst, so übertrieben auf, dass es schon fast an eine Persiflage erinnert. Am Anfang, wenn dieses Ranschmeißen an die Oberschicht noch für den ein oder anderen kleinen Gag genutzt wird, kann man darüber noch grinsend den Kopf schütteln. Auf Dauer ist ihre unangenehm-aufdringliche Art aber erst bemitleidenswert und dann schon bald nur noch abstoßend. Das mag von den Machern einkalkuliert sein, wird aber zu einem echten Problem beim Zuschauen, da man derweil keinerlei Mühe unternimmt uns parallel dazu die “echte“ Alice näherzubringen. Außer das Alice unbedingt einen reichen Mann will erfahren wir nicht viel über sie, was es schwierig macht, das Verhalten der so dominanten “falschen“ Alice zu tolerieren.

Das dramaturgische Todesurteil für den Film ist aber die Tatsache, dass Alice diese Maske auch gegenüber ihrer großen Liebe Arthur trägt. Der kommt zwar an sich ganz sympathisch rüber (er erinnert ein klein wenig an den jungen Pierce Brosnan), warum er sich aber in diese schreckliche Variante von Alice verliebt bleibt uns ein Rätsel. Es untergräbt auf jeden Fall ziemlich stark die Glaubwürdigkeit und das emotionale Investment des Publikums in die sich anbahnende Beziehung der beiden. Es macht schlicht keinen Spaß diese beiden bei ihrem Kennenlernprozess zu begleiten.
 


Erst ganz am Ende macht der Film dann deutlich, dass Alice besser damit bedient wäre sich von ihrer wahren Seite zu zeigen. Aber auch das ist eher unglücklich in Szene gesetzt. Ein großes Dinner im Haus von Alice, bei dem Arthur eingeladen ist, wird schon fast zu einer großen Slapstick-Nummer, bei der endgültig die ganze Farce zusammenbricht. Eigentlich eine gute Idee und Regisseur George Stevens, der davor als Kameramann und Autor an zahlreichen Filmen von Laurel und Hardy (“Dick und Doof“) mitwirkte, gelingen auch ein paar eigentlich nette Gags. Leider basiert die Hälfte darauf aber auf der Unfähigkeit einer schwarzen Haushaltshilfe, was natürlich heute dann doch einen etwas fahlen Nachgeschmack hinterlässt und die beabsichtigte Wirkung dieser Szene untergräbt.

Das kann man dem Film natürlich nur bedingt vorhalten, deutlich strenger muss man aber mit dem überhasteten Schlussakkord ins Gericht gehen. Wie man sich hier auf billige Art und Weise ein ziemlich einfallsloses Happy-End herbeizaubert ist schon sehr enttäuschend. Tatsächlich hatten sowohl Stevens als auch Hepburn ein deutlich besseres und moderneres Ende im Sinn, konnten sich am Ende aber nicht gegen die Produzenten durchsetzen. Doch auch wenn dieser andere Schluss dieses Werk etwas aufgewertet hätte, ein wirklich guter Film wäre immer noch nicht draus geworden. Stattdessen ist “Alice Adams“ ein eher frustrierender Streifen, bei dem nur hier und da das Talent seiner begnadeten Hauptdarstellerin aufblitzt. Glücklicherweise wird Hepburn ja aber noch deutlich bessere Gelegenheiten bekommen, um ihre ganze Klasse ausspielen zu können.

"Alice Adams" ist aktuell als DVD-Import auf Amazon in Deutschland verfügbar.

 

Ein kurzer Teaser zum Film.

 

Hepburn im Interview über die Wahl von George Stevens als Regisseur für "Alice Adams"


Ausblick: In unserer nächsten Folge treffen wir auf eine der ganz großen Kinolegenden hinter der Kamera und eine Story rund um Vertrauen und Verrat in Irland.

 

Bilder: Copyright

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