Die Traumkarriere eines jungen, unabhängigen Filmemachers in den USA geht ungefähr so: Mit kleinem Budget und möglichst viel Gratis-Hilfe von Freunden und Familie schafft man es irgendwie, ein Debütwerk zu vollenden, das beeindruckend genug ist, um auf Nachwuchsfestivals für Independentfilmer – im Optimalfall: Sundance – eingeladen zu werden, wo man dann wiederum genug Aufmerksamkeit bekommt, als dass sich einer der Independent-Ableger der großen Hollywood-Studios findet, um den nächsten Film zu produzieren und dafür dann auch ein paar namhafte Schauspieler ran zu karren, die dankbar sind, wenn sie mal etwas untypischere und interessantere Rollen spielen zu können. Das gibt „Credibility“ für die Darsteller und noch mehr Aufmerksamkeit für den Filmemacher, und dann fängt man an, einen richtigen Namen zu generieren und vielleicht ein paar Preise zu gewinnen.
Für die Filmemacher-Brüder Jay und Mark Duplass lief es bisher genau so, bis hin zum ersten Hollywood-gibt-Geld-und-Stars-Film. Das war „Cyrus“ mit Jonah Hill, John C. Reilly und Marisa Tomei. Doch nun drohen die Duplass-Brüder auf dem aktuellen Status zu verharren, denn wie schon „Cyrus“ leidet auch ihr neuer Film „Jeff, der noch zuhause lebt“ trotz namhafter und großartig aufspielender Star-Besetzung daran, dass seine Geschichte zu unspektakulär und seine Erzählweise zu eigenwillig ist, als dass ein breites Publikum wirklich etwas mit diesem Film anfangen könnte. Die Fakten sprechen für sich: „Cyrus“ spielte in den USA 7,5 Millionen Dollar ein, „Jeff“ ging es mit 4,3 Millionen sogar noch schlechter. Auch wenn es irgendwie blöd klingt: Die Duplass-Brüder scheinen in ihrer Herangehensweise einfach zu speziell für einen größeren Erfolg zu sein.
Titelheld Jeff (Comedy-Hotshot Jason Segel) lebt trotz seiner gut 30 Jahre noch immer daheim bei Mutter (Susan Sarandon) und ist ein slacker der träumerischen Sorte: Ihm fehlt der Antrieb, etwas mit seinem Leben zu machen, weil Jeff davon überzeugt ist, dass ein ganz besonderes Schicksal auf ihn wartet – und das wird sich ihm beizeiten ganz bestimmt durch Zeichen offenbaren (in der Eröffnungsszene monologisiert Jeff über seinen Lieblingsfilm, "Signs"). Sein Bruder Pat (Ed Helms, der Zahnarzt aus „Hangover“) sieht darin lediglich das Marihuana-geschwängerte Geschwafel eines passionierten Kiffers und gibt auf das Geblubber seines Bruders ungefähr so viel wie auf die Einwände seiner Frau (die fabulöse und viel zu oft unter Wert verkaufte Judy Greer), dass sie sparen müssen, wenn sie sich mal ein ordentliches Haus leisten wollen. Schließlich hat ihm der Porsche-Händler ein Finanzierungsangebot gemacht, zu dem man einfach nicht Nein sagen kann. Die Brüder treffen aufeinander, als Jeff nach einem vermeintlichen Wink des Schicksals seinen üblichen Trott verlässt, und verbringen ungeplant einen Tag miteinander, der ihrer beider Leben tatsächlich in eine neue Richtung weisen wird.
Es ist kaum zu viel verraten, dass der Porsche diesen Film nicht unbeschadet überstehen wird. Die entsprechende Szene ist bereits im Trailer zu sehen. Was jedoch viele Zuschauer überraschen wird, ist wie früh im Film der Porsche dran glauben muss. Es ist geradezu symptomatisch dafür, wie „Jeff, der noch zuhause lebt“ die Erwartungen des Publikums irritiert, wenn man überlegt, dass in einem „gewöhnlichen“ Film solch ein Porsche ein ständig präsenter Begleiter durch die Handlung wäre, um dann im letzten Filmdrittel in einem Augenblick möglichst hoher Dramatik geschrottet zu werden. Hier jedoch bedient dieser Unfall „nur“ einen frühen Plotpunkt, nämlich Jeff und seinen Bruder an einem Ort zu stoppen, an dem sie sonst nie angehalten wären, um etwas zu sehen, was sie sonst nicht gesehen hätten.
Auf ähnliche Weise verlässt der gesamte Film immer wieder die Bahnen, die man als Zuschauer von ihm erwarten würde. Das beginnt bereits damit, dass „Jeff“ nicht so eindeutig als Komödie daherkommt, wie es Besetzung und Trailer hätten vermuten lassen. Tatsächlich ist dies das Problem im eigenwilligen Stil der Duplass-Brüder, der es dem Publikum schwer macht, sich wirklich auf ihre Filme einzulassen: Auch „Jeff“ pendelt in Stil und Tonalität irgendwo zwischen Komödie, Satire und Drama, ohne wirklich das eine noch das andere zu sein. Der Humor ist hier leise, in Details versteckt, und oft nur eine Nuance des Tragischen: Wie sich Jeff in seinen verträumten Glauben ans Schicksal verbeißt, oder wie Pat zu verbohrt ist, um auf das einzugehen, was man ihm zu sagen versucht – das könnte durchaus komisch sein, wenn es nicht so traurig wäre.
Die Hauptfiguren von „Jeff“ scheitern die meiste Zeit an sich selbst, an ihren eigenen Unzulänglichkeiten. Das macht sie zutiefst menschlich, sehr realistisch und facettenreich, und damit zu sehr willkommenem Futter für anspruchsvolle Schauspieler. Es macht sie aber auch zu Figuren, die man als Zuschauer kaum als Identifikationsfiguren ansehen kann, und denen man auch nur dann mit Interesse folgen mag, wenn man bereit ist den Wert darin zu suchen (und zu finden), gewöhnlichen Menschen beim Scheitern an ihren eigenen Unzulänglichkeiten zuzusehen.
Dass Jeff als Charakter zum Beispiel überhaupt funktioniert und man ihn trotz seiner weltfremden Attitüde nicht gleich als Witzfigur abstempelt, die nervt und nicht mehr ernst zu nehmen ist, ist einzig Jason Segel zu verdanken, der mit seiner unvergleichlichen Eigenschaft als liebenswerter, tapsiger Clown vielleicht der einzige Hollwood-Star ist, der diesen Part überhaupt erfolgreich spielen konnte. Auch seine Co-Stars Helms, Greer und Sarandon leisten Großartiges, aber auch sie können nichts daran ändern, dass „Jeff“ ein Schauspielerfilm bleibt, bei dem sich das Publikum lange – genau genommen sogar bis nach dem Ende – fragt, was ihm hier eigentlich genau vermittelt werden soll. Wenn es sich nicht schon längst gelangweilt und desinteressiert abgewendet hat.
„Jeff, der noch zuhause lebt“ ist kleines, introvertiertes und bescheidenes Charakterkino. Das ist eine Auszeichnung für die Tiefe seiner erzählerischen Ambitionen, aber ein Defizit auf der Suche nach einem interessierten Publikum.
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