Der Schock kommt schnell und unerwartet - für den Zuschauer, ebenso wie für Kale (Shia LaBeouf). Eben noch lebte der Teenager ein sorgloses Bilderbuchleben, dann schlägt das Schicksal zu und man versteht nur zu gut, wie Kale in den folgenden Monaten zu jenem verschlossenen, aggressiven Einzelgänger wurde, der sich um nichts mehr schert und zu drei Monaten Hausarrest über die Sommerferien verurteilt wird, nachdem er seinem Spanisch-Lehrer am letzten Schultag einen auf die Nase gegeben hat. Kale ist die Strafe zunächst herzlich egal: Außer Ronnie (Aaron Yoo) hat er ohnehin keine Freunde, und Home Entertainment gibt es ja genug. Doch damit die Strafe für Kale auch wirklich eine Strafe ist, entzieht seine Mutter Julie ("Trinity" Carrie-Anne Moss) ihm nach und nach Internetanschluss, Videospiele und Fernseher, und Kale muss sich eine neue Beschäftigung suchen. Und was tut man da, wenn man in der langweiligen, braven Vorstadt wohnt: Man fängt an, seine Nachbarn zu beobachten. Dabei verknallt sich Kale in Ashley (Sarah Roemer) von nebenan, und wird auf Mr. Turner (David Morse) aufmerksam, der irgendetwas zu verbergen hat….
Was auf dem Papier zunächst klingt wie eine bloße Teenager-Version von Hitchcocks Klassiker "Das Fenster zum Hof", überrascht von Anfang an durch eine gänzlich andere Gewichtung. Denn auch wenn "Disturbia" vornehmlich als Psycho-Thriller beworben wird und der gute Mr. Turner natürlich bald Unschönes im Schilde führt, ist der Film in seinem Kern eine toll geschriebene Teenager-Story mit Herz und Humor.
Darum sollte man sich auch nicht wundern, dass es eine ganze Weile dauert bis "Disturbia" die Spannungsschraube anzieht und der unheimliche Mr. Turner überhaupt größer in Erscheinung tritt. In der ersten Hälfte bewegt sich der Film geradezu gemächlich und lässt sich Zeit damit, Kale und seine "Welt" vorzustellen. Das geschieht unter anderem durch das amüsante Ausmessen seines Spielraums - Kale trägt zur Überwachung seines Hausarrests einen Bewegungsmelder am Fuß, der Alarm bei der Polizei schlägt, wenn er sich zu weit von der Haustür entfernt. Die beiden Drehbuchautoren finden großartige Wege, dadurch die stark eingegrenzte Handlungswelt des Films zu etablieren und den Bewegungsmelder mehrfach clever als Plotelement zu nutzen.
Gleichzeitig sind diese unsichtbaren Gefängnismauern, die sich für Kale um sein Haus ziehen, Synonym für das Gefühl des Eingesperrtseins, das die Vorstadthölle für die Teenager bestimmt - jene Zwänge aus braver Betulichkeit und scheinbarer Normalität, die nach Anpassung verlangen und ihre kranken Aspekte hinter den Vorhängen verbergen. Über dieses Gefühl findet Kale schließlich auch eine gemeinsame Ebene mit Ashley, und ob und wie er sie für sich erobern kann ist der eigentliche Motor der Handlung. Der Titel "Disturbia" - ein Amalgam aus "disturb" (beunruhigen, stören) und "Suburbia" (dem englischen Begriff für Vorstädte) - bezieht sich entsprechend eher auf Kales und Ashleys Wahrnehmung der versteckten Abgründe ihrer Wohngegend, als auf die tatsächliche Beunruhigung, die schließlich von Nachbar Turner ausgeht.
Natürlich wandelt sich "Disturbia" langsam aber sicher zu einem "richtigen" Psycho-Thriller, und wenn der Film im Schlussteil alle Zurückhaltung in den Wind schießt und kräftig aufs Gas tritt, gibt es noch jede Menge Gelegenheit, sich gepflegt zu erschrecken. Doch gerade weil man so etwas in Kombination mit verängstigten Teenagern im Horror-Genre schon (viel zu) oft gesehen hat, ist die Gewichtung von "Disturbia" so erfrischend: Hier werden die Teenager-Figuren wirklich ernst genommen, sorgsam und glaubhaft aufgebaut und mit einer guten Geschichte versehen, bevor sie schlussendlich mit dem Psychopathen konfrontiert werden.
Ganz großen Anteil an der starken Teenie-Story hat dabei Hauptdarsteller Shia LaBeouf, den man sich nicht nur wegen seines unmöglichen Nachnamens merkt. In "Transformers" durfte er diesen Sommer ja bereits Blockbuster-Hauptrollen-Luft schnuppern, inzwischen hat ihn Spielberg für einen Part im vierten "Indiana Jones"-Film verpflichtet - wie man hört aufgrund von LaBeoufs Leistung in diesem Film, der sich ohne einen berühmten Namen auf der Besetzungsliste im Frühjahr zum Überraschungshit in den US-Kinos entwickelt hatte. Der Nachwuchsstar überzeugt hier mit intensivem, glaubwürdigem Spiel und pendelt dabei mit beeindruckender Leichtigkeit zwischen den verschiedenen Facetten seiner Figur und der Geschichte. Auch wenn LaBeouf zuerst unscheinbar wirkt: "Disturbia" beweist eindrucksvoll sein erstaunliches Charisma und lässt erahnen, dass dieser Bursche noch eine beachtliche Karriere vor sich hat.
Also: "Disturbia" lohnt sich, nicht nur wegen des tollen Hauptdarstellers, sondern vor allem wegen seiner gelungenen Ausgewogenheit von glaubhaften Figuren, gut verstreuter humorvoller Leichtigkeit und genüsslich aufgebauter Spannung. Und nebenbei ist er ein für Hollywood-Verhältnisse selten ehrliches und wahrhaftiges Stück Teenager-Kino.
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